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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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anzuhalten, zu zögern, schaukelte etwas in Längsrichtung und rollte ein wenig in der leichten Dünung – wie ein gewaltiges Tier, das mit der riesigen Schnauze wittert. Die Spannung wurde unerträglich, es kostete Harrys ganze Willenskraft, nicht aufzuspringen und zu brüllen, daß er hinauswollte.
    Plötzlich erschallte ein schreckliches Tosen wie von einem ausbrechenden Sturm, als die vier mächtigen Motoren zur Höchstleistung getrieben wurden. Harry entfuhr ein Schrei. Doch das Motorendonnern verschluckte ihn. Das Luftschiff schien sich etwas im Wasser zu ducken wie unter einer Knute, doch einen Augenblick später kam der Schub vorwärts.
    Es nahm rasch Geschwindigkeit auf wie ein schnelles Schiff, nur daß ein Wasserfahrzeug dieser Größe nicht so zügig beschleunigen konnte. Gischtendes Wasser raste an den Fenstern vorbei. Immer noch schaukelte und rollte der Clipper mit der Bewegung der See. Harry wollte die Augen schließen, aber er wagte es nicht. Panik erfüllte ihn. Ich werde sterben, dachte er hysterisch.
    Das Flugschiff wurde immer schneller. Harry war noch nie in einem solchen Tempo über das Wasser gerast, kein Schnellboot konnte diese Geschwindigkeit erreichen. Sie hatten nun achtzig, neunzig, über hundert Stundenkilometer. Gischt schäumte als geschlossenes, wogendes Weiß vor den Fenstern und verwehrte die Aussicht. Wir werden sinken, explodieren oder aufprallen, dachte Harry.
    Eine heftige Vibration setzte ein wie in einem Wagen, der über trockene Furchen eines Feldwegs holpert. Was war das? Harry zweifelte nicht daran, daß etwas schieflief und daß das Flugzeug jeden
    Moment auseinanderbrechen würde. Dann wurde ihm klar, daß es sich zu heben begonnen hatte und wie ein Schnellboot über das Wasser hüpfte. War das normal?
    Plötzlich schien das Wasser weniger Widerstand zu bieten. Als es ihm gelang, durch die Gischt zu spähen, sah Harry die Oberfläche der Flußmündung – sie lag schief. Die Nase des Flugzeugs mußte sich gehoben haben, obgleich er es nicht gespürt hatte. Entsetzliche Angst quälte ihn, und der Mageninhalt drohte hochzukommen. Er schluckte heftig.
    Die Vibration änderte sich. Statt über Furchen zu holpern, sprangen sie nun scheinbar von Welle zu Welle wie ein Stein, den man flach über das Wasser wirft. Die Motoren heulten, und die Propeller droschen die Luft. Vielleicht ist es unmöglich, dachte Harry; vielleicht kann eine so gewaltige Maschine sich gar nicht in die Lüfte heben; vielleicht kann sie nur wellenreiten wie ein übergewichtiger Delphin. Dann spürte er plötzlich, daß das Flugschiff freigekommen war. Es schnellte vorwärts und hoch, und Harry fühlte, wie das bremsende Wasser unter dem Flugkörper wegfiel. Die Sicht durch das Fenster war wieder unbehindert von Gischt, und er sah das Wasser in der Tiefe verschwinden, während das Flugzeug an Höhe gewann. Großer Gott, dachte er, wir fliegen! Dieser überladene Luxuspalast fliegt tatsächlich!
    Nun, da er in der Luft war, verließ ihn die Angst, und eine ungeheure Begeisterung erfüllte ihn. Er fühlte sich, als wäre er höchstpersönlich dafür verantwortlich, daß dem Flugzeug der Start gelungen war. Am liebsten hätte er laut gejubelt. Als er sich umsah, bemerkte er, daß alle vor Erleichterung lächelten; und während er sich der anderen Passagiere wieder bewußt wurde, spürte er, daß er schweißgebadet war. Er holte ein weißes Leinentaschentuch hervor, trocknete damit verstohlen das Gesicht und steckte das feuchte Tuch hastig in die Tasche zurück.
    Das Flugzeug gewann stetig an Höhe. Harry beobachtete, wie Englands Südküste unter den gedrungenen Flossenstummeln verschwand, dann blickte er nach vorn und sah die Isle of Wight. Nach einer Weile legte sich der Clipper allmählich waagrecht, und
    das Dröhnen der Motoren wurde zu einem beruhigenden Summen.
    Der Steward Nicky erschien in seiner weißen Jacke und der schwarzen Krawatte. Jetzt, da die Motoren gedrosselt waren, brauchte er die Stimme nicht zu heben. »Möchten Sie einen Drink, Mr. Vandenpost?« erkundigte er sich.
    Das ist genau das, was ich jetzt brauche, dachte Harry. »Einen doppelten Whisky«, antwortete er sofort. Dann erinnerte er sich, daß er ja für einen Amerikaner gehalten werden wollte. »Mit einer Menge Eis«, fügte er mit dem richtigen Akzent hinzu.
    Nicky nahm die Bestellung der Oxenfords entgegen und verschwand durch die vordere Tür.
    Harry trommelte ungeduldig auf die Sitzlehnen. Der Teppichboden, die

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