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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verärgert. Sie kostete ihren Martini und hätte ihn fast ausgespuckt. »Puh!« entfuhr es ihr. »Das schmeckt ja wie purer Gin!« Alle lachten. »Es ist ja auch fast nur Gin, mein Liebling«, erklärte Mark. »Hast du denn noch nie einen Martini getrunken?«
    Diana schämte sich. Wie ein Schulmädchen an der Bar hatte sie keine Ahnung gehabt, was das war, was sie bestellte. All die welterfahrenen Leute hier hielten sie nun für eine dumme Provinzlerin.
    »Gestatten Sie, daß ich Ihnen etwas anderes bringe, Ma‘am?« fragte Davy.
    »Dann bitte ein Glas Champagner«, sagte sie verdrossen.
    »Sofort.«
    Diana wandte sich verstimmt an Mark. »Ich habe noch nie zuvor einen Martini getrunken und dachte mir, ich sollte einmal einen versuchen. Daran ist doch nichts auszusetzen, oder?«
    »Natürlich nicht, mein Lieblinge« Er tätschelte beruhigend ihr Knie.
    Prinzessin Lavinia meldete sich näselnd zu Wort. »Dieser Weinbrand ist abscheulich, junger Mann. Bringen Sie mir lieber Tee.«
    »Sofort, Ma‘am.«
    Diana beschloß, zur Toilette zu gehen. Sie stand auf. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie und ging durch den Türbogen, der zum Heck führte.
    Sie kam durch ein weiteres Passagierabteil, das genau wie das ihre aussah, und erreichte das Heck. An einer Seite befand sich ein kleines Abteil mit nur zwei Fluggästen und auf der anderen die Tür zur Damentoilette. Sie trat ein.
    Es war ein sehr hübscher Raum, das hob sofort ihre Stimmung. Die Wände waren mit hellbrauner Textiltapete verkleidet, und vor einem eleganten Toilettentisch standen zwei mit türkisem Leder überzogene, gepolsterte Hocker. Diana setzte sich vor den Spiegel, um ihr Make-up aufzufrischen. Mark nannte das, ihr Gesicht neu beschreiben. Weiche Papiertücher und Abschminkmilch standen zuvorkommend zur Verfügung.
    Sie warf einen Blick in den Spiegel und sah eine unglückliche Frau. Lulu Bell war wie eine düstere Wolke am Himmel aufgezogen. Sie beanspruchte Marks ganze Aufmerksamkeit und brachte ihn dazu, daß er Diana fast ein wenig als störend empfand. Lulu war natürlich Mark altersmäßig näher, er war neununddreißig und sie bestimmt über vierzig. Diana dagegen war erst vierunddreißig. Wußte Mark, wie alt Lulu war? Männer konnten in solchen Dingen sehr dumm sein.
    Das wirkliche Problem war jedoch, daß Lulu und Mark soviel gemein hatten: Beide waren im Showbusiness, beide Amerikaner, beide Veteranen der ersten Tage des Rundfunks. Diana hatte nie etwas Vergleichbares gemacht. Wenn man verletzend sein wollte, konnte man sogar sagen, daß sie nie irgend etwas getan hatte, als eine Dame der Gesellschaft in einer Provinzstadt zu sein.
    Würde es immer so sein mit Mark? Sie reiste in seine Heimat. Von jetzt an würde er sich mit allem auskennen, während ihr alles fremd war. Sie würden mit seinen Freunden verkehren, denn sie hatte in Amerika ja keine eigenen. Wie oft würde sie noch ausgelacht werden, weil sie etwas nicht wußte, was für alle anderen alltäglich war, wie die Tatsache, daß ein trockener Martini nach nichts anderem schmeckte als nach Gin?
    Sie fragte sich, wie sehr ihr die bequeme, vertraute Welt fehlen würde, in der alles vorhersehbar war, die Welt der Wohltätigkeitsbälle und Freimaurerdinner in den Hotels von Manchester, wo sie alle Leute kannte und alle Drinks und alle Speisen auf der Karte ebenfalls. Es war langweilig, aber sie hatte dort festen Boden unter den Füßen.
    Sie schüttelte den Kopf, damit ihr Haar schön locker fiel. Nein, so werde ich nicht mehr denken, nahm sie sich vor. Ich habe mich in dieser Welt zu Tode gelangweilt. Ich habe mich nach Abenteuer und Aufregung gesehnt, und jetzt, da ich beides habe, werde ich es auch genießen!
    Sie beschloß, sich anzustrengen, Marks Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Was konnte sie tun? Sie wollte ihm nicht ins Gesicht sagen, daß ihr sein Benehmen mißfiel. Das wäre unklug. Möglicherweise würde ein wenig seiner eigenen Medizin recht gut wirken. Sie könnte sich mit jemandem unterhalten, so wie er sich mit Lulu. Das würde vielleicht helfen. Aber mit wem? Der gutaussehende Bursche ihr gegenüber auf der anderen Seite des Mittelgangs wäre genau der Richtige. Er war jünger als Mark und größer. Wenn das Mark nicht eifersüchtig machte!
    Sie tupfte sich Parfüm hinter die Ohren und zwischen die Brüste, dann verließ sie die Damentoilette. Sie wiegte sich etwas mehr in den Hüften als sonst, während sie den Gang entlangspazierte, und freute sich an den begehrlichen

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