Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Glas und bestellte weiteren Champagner. Doch auch der vermochte sie nicht zu beruhigen. Momentan wünschte sie sich nichts mehr als festen Boden unter den Füßen. Sie starrte böse auf Mark und Lulu, die fröhlich plauderten und sich ihrer Qualen gar nicht bewußt waren. Sie war sogar versucht, eine Szene zu machen, in Tränen auszubrechen oder hysterisch zu werden; aber sie schluckte heftig und beherrschte sich. Bald würde das Flugzeug in Foynes zwischenlanden, dann konnte sie aussteigen und sich die Füße vertreten.
    Doch danach mußte sie wieder an Bord gehen, und dann begann der lange Transatlantikflug.
    Sie ertrug es nicht, auch nur daran zu denken.
    Ich überstehe ja kaum eine Stunde in der Luft, dachte sie. Wie soll ich es da eine ganze Nacht aushalten? Ich werde sterben vor Angst.
    Aber was kann ich sonst tun?
    Natürlich würde niemand sie zwingen, in Foynes wieder ins Flugzeug zu steigen.
    Und wenn niemand sie zwang, würde sie es auch nicht tun können.
    Aber was soll ich sonst tun?
    Ich weiß, was ich tun werde.
    Ich rufe Mervyn an.
    Es fiel ihr schwer zu glauben, daß ihr herrlicher Traum wie eine Seifenblase platzte; doch so würde es sein, das wußte sie nun.
    Mark wurde vor ihren Augen bei lebendigem Leibe von einer älteren Frau mit gebleichtem Haar und zuviel Make-up verschlungen, und Diana würde Mervyn anrufen und sagen: »Tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht, ich möchte wieder heim.«
    Sie wußte, daß er ihr vergeben würde. Und weil sie sich seiner Reaktion sicher war, schämte sie sich ein wenig. Sie hatte ihm weh getan, trotzdem würde er sie in die Arme nehmen und glücklich sein, daß sie zu ihm zurückkehrte.
    Aber das will ich doch gar nicht, dachte sie und fühlte sich ganz elend. Ich will nach Amerika und Mark heiraten und in Kalifornien leben. Ich liebe ihn.
    Nein, das war ein törichter Traum. Sie war Mrs. Mervyn Lovesey aus Manchester, die Schwester Theas, die Tante der Zwillinge, die nicht sehr gefährliche Rebellin der Manchesterschen Gesellschaft. Sie würde nie in einem Haus mit Palmen und einem Swimmingpool im Garten leben. Sie war mit einem treuen, mürrischen Mann verheiratet, der sich mehr für seine Firma interessierte als für sie; aber den meisten Frauen, die sie kannte, erging es ebenso, also mußte das wohl normal sein. Sie waren alle enttäuscht, jedoch besser dran als die paar, die Tunichtgute und Trinker geheiratet hatten. Also bedauerten sie einander, bestätigten sich, daß es schlimmer sein könnte, und gaben das schwerverdiente Geld ihrer Gatten in Kaufhäusern und Frisiersalons aus. Aber nach Kalifornien gingen sie nie.
    Wieder sackte das Flugzeug ins Leere und richtete sich gleich danach wieder auf wie zuvor. Diana mußte sich sehr zusammennehmen, um sich nicht zu übergeben. Aber seltsamerweise fürchtete sie sich nicht mehr. Sie wußte, was ihr die Zukunft brachte. Sie fühlte sich sicher.
    Und trotzdem war ihr zum Heulen zumute.
    Eddie Deakin, der Flugingenieur, sah den Clipper als eine Riesenseifenblase. Sie war wunderschön und empfindlich, und er mußte sie behutsam über das Meer bringen, während die Menschen in ihr sich amüsierten, ohne daran zu denken, wie dünn die Haut zwischen ihnen und der Finsternis war.
    Die Reise war riskanter, als sie ahnten, denn die Technologie des Flugzeugs war neu und der Nachthimmel über dem Atlantik unerforscht und voll unerwarteter Gefahren. Trotzdem dachte Eddie jedesmal voller Stolz, daß die Tüchtigkeit des Flugkapitäns, der Einsatz der Crew und die Verläßlichkeit amerikanischer Technik sie alle sicher heimbringen würde.
    Auf diesem Flug jedoch war ihm schlecht vor Angst.
    Auf der Passagierliste gab es einen Tom Luther. Eddie hatte aus den Fenstern des Flugdecks geblickt, während die Passagiere an Bord gingen, und sich gefragt, welcher von ihnen für Carol-Anns Entführung verantwortlich war. Aber wie hätte er das erkennen können – die Schar gutgekleideter, gutgenährter Magnaten, Filmstars und Aristokraten, die an ihm vorbeizog, unterschied sich in nichts von den üblichen Flugreisenden.
    Eine Zeitlang, bei den Vorbereitungen für den Start, war es ihm gelungen, die quälenden Gedanken an Carol-Ann zu verdrängen und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren: die Instrumente kontrollieren, die vier massiven Sternmotoren zünden und warmlaufen lassen, Gemisch und Luftklappen einstellen und die Motorendrehzahl während des Rollens regulieren. Aber sobald der Clipper seine Flughöhe erreicht hatte,

Weitere Kostenlose Bücher