Nacht über den Wassern
Kartenspiel im Gange. Eddie bemerkte mehrere bekannte Gesichter, aber er war zu abwesend, um darüber nachzudenken, wer die Berühmtheiten waren. Er blickte mehrere Fluggäste direkt an, weil er hoffte, Tom Luther würde sich bemerkbar machen, doch niemand sprach ihn an.
Er erreichte das Heck und kletterte eine neben der Damentoilette an der Wand befestigte Leiter hinauf. Sie endete unter einer Luke in der Decke, die zu dem leeren Raum im Heck des Flugzeugs führte. Wenn er auf dem oberen Deck geblieben und durch die Gepäckräume gegangen wäre, hätte er ebensogut hierhergelangen können.
Er überprüfte die Kabel der Seitenrudersteuerung oberflächlich, dann schloß er die Luke und kletterte die Leiter wieder hinab. Ein etwa vierzehn- oder fünfzehnjähriger Junge stand unten und schaute ihm aufmerksam zu. Eddie zwang sich zu einem Lächeln. Ermutigt fragte der Junge: »Darf ich mich auf dem Flugdeck umsehen?« »Natürlich«, erwiderte Eddie automatisch. Er wollte jetzt eigentlich in Ruhe gelassen werden, aber in diesem Flugzeug mußte die Besatzung ganz besonders zuvorkommend zu den Passagieren sein. Abgesehen davon würde es ihn vielleicht von Carol-Ann ablenken.
»Prima! Danke!«
»Geh schon mal zu deinem Platz zurück, ich hol‘ dich dann.« Der Junge nickte und rannte los.
Eddie zottelte so langsam wie möglich durch den Mittelgang, aber auch jetzt wandte sich niemand an ihn. Dieser Mann wartete offenbar auf eine unauffälligere Gelegenheit, um sich bemerkbar zu machen. Bis dahin hieß es abwarten.
Der Junge saß mit seiner Familie im Abteil zwei, ziemlich vorn. »Okay, mein Junge, dann komm mit«, meinte Eddie und lächelte den Eltern zu. Sie erwiderten sein Lächeln mit einem reichlich kühlen Nicken. Ein Mädchen mit langem rotem Haar – möglicherweise die Schwester des Jungen – bedachte ihn dagegen mit einem dankbaren Lächeln, und sein Herz stockte einen Moment: Sie war bezaubernd, wenn sie lächelte.
»Wie heißt du?« fragte er den Jungen, als sie die Wendeltreppe hinauf stiegen.
»Percy Oxenford.«
»Ich bin Eddie Deakin, der Flugingenieur.«
Sie kamen oben an. »Die wenigsten Flugdecks oder vielmehr Cockpits sind so komfortabel wie dieses.« Eddie bemühte sich, munter zu klingen.
»Wie sind sie denn üblicherweise?«
»Kahl und kalt und laut. Und sie haben scharfe Kanten, an die man andauernd anstößt.«
»Was hat der Flugingenieur zu tun?«
»Ich kümmere mich um die Motoren – sorg‘ dafür, daß sie einwandfrei laufen und uns gut nach Amerika bringen.«
»Wofür sind diese vielen Hebel und Meßinstmmente?«
»Warte… Diese Hebel hier sind zur Regelung der Propellerdrehzahl, der Motortemperatur und des Treibstoffgemischs. Für jeden der vier Motoren gibt es einen eigenen kompletten Satz.« Ihm wurde bewußt, daß das für einen so aufgeweckten Burschen wie diesen hier sehr allgemein klingen mußte, und bemühte sich, alles genauer zu erklären. »Setz dich auf meinen Platz«, forderte er den Jungen auf. Percy setzte sich eifrig. »Dieses Meßinstrument«, Eddie deutete darauf, »zeigt die Temperatur des zweiten Motors an. Sie steht jetzt auf zweihundertfünf Grad Celsius, das kommt dem erlaubten Maximum, das beim Fliegen zweihundertdreißig Grad beträgt, bereits etwas zu nahe. Also müssen wir sie senken.«
»Wie macht man das?«
»Nimm den Hebel, und zieh ihn einen Teilstrich nach unten… Das genügt. Jetzt hast du die Luftklappe um zweieinhalb Zentimeter weiter geöffnet, und es kommt mehr kalte Luft herein. Du wirst sehen, daß die Temperatur gleich sinken wird. Wie weit bist du in Physik?«
»Ich gehe auf eine altmodische Schule«, antwortete Percy. »Wir müssen eine Menge Latein und Griechisch lernen, aber von Wissenschaft hält man dort nicht viel.«
Eddie fand, daß Latein und Griechisch Großbritannien nicht helfen würden, den Krieg zu gewinnen, behielt seine Meinung jedoch für sich.
»Was machen die anderen während des Fluges?« fragte Percy.
»Also, der wichtigste Mann ist der Navigator. Das ist Jack Ashford, er steht am Kartentisch.« Jack, ein dunkelhaariger Mann mit regelmäßigen Zügen, dessen bläuliches Kinn starken Bartwuchs verriet, schaute auf und lächelte freundlich. Eddie fuhr fort: »Er muß berechnen, wo wir sind, und das ist mitten über dem Atlantik gar nicht so leicht. Er hat eine Beobachtungskuppel da hinten zwischen den
Gepäckräumen, dort macht er nach der Stellung der Gestirne mit seinem Sextanten
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