Nacht über den Wassern
Okay.
Ein anderes Boot kam bereits längsseit, um Passagiere und Crew abzuholen.
Eddie schloß die Luke und kehrte auf das Flugdeck zurück. Captain Baker und der Funker Ben waren noch auf ihren Plätzen, während Johnny, der Copilot, sich am Kartentisch mit Jack unterhielt. Eddie setzte sich an seinen Platz und schaltete die Maschinen ab. Als alles erledigt war, zog er seine schwarze Uniformjacke an und setzte die weiße Mütze auf. Die Besatzung ging die Treppe hinunter, durch das zweite Passagierabteil in die Lounge und trat hinaus auf den Flossenstummel. Von dort stiegen sie ins Boot. Mickey Finn, Eddies Stellvertreter, blieb an Bord, um das Auftanken zu überwachen.
Die Sonne schien, aber es blies ein kalter, salziger Wind. Eddie musterte heimlich die Passagiere auf dem Boot und fragte sich aufs neue, welcher von ihnen Tom Luther war. Er erkannte das Gesicht einer Frau und zuckte fast zusammen, als ihm bewußt wurde, daß er sie in einer Liebesszene mit einem französischen Filmgrafen in Eine Spionin in Paris gesehen harte. Es war der Filmstar Lulu Bell. Sie plauderte lebhaft mit einem Mann in blauem Blazer. War er vielleicht Tom Luther? In ihrer Begleitung befand sich eine schöne Frau in gepunktetem Kleid, die elend aussah. Es gab noch einige bekannte Gesichter, aber die meisten Passagiere waren ihm fremd.
Wenn Luther sich nicht bald an ihn wandte, würde er ihn suchen.
Zum Teufel mit der Diskretion! Er hielt das Warten einfach nicht länger aus!
Das Boot entfernte sich vom Clipper und tuckerte zum Land. Eddie starrte über das Wasser und dachte an seine Frau. Immer wieder malte er sich aus, wie die Entführer ins Haus gekommen waren. Carol-Ann hatte vielleicht gerade Eiweiß geschlagen oder Kaffee gekocht oder sich zur Arbeit angezogen. Und wenn sie in der Badewanne gesessen hatte? Eddie liebte es, sie in der Wanne zu bewundern. Ihr hochgestecktes Haar betonte den schlanken Hals; sie lag im Wasser und seifte lässig ihre sonnengebräunten Arme und Beine ein. Sie mochte es, wenn er sich auf den Wannenrand setzte und sich mit ihr unterhielt. Bis er sie kennenlernte, hatte er geglaubt, so etwas gäbe es nur in erotischen Wachträumen. Doch jetzt wurde dieses Bild von drei rauhen Kerlen in Filzhüten getrübt, die hineinstürmten und sie packten…
Der Gedanke an Carol-Anns Angst und ihren Schock, als man sie kidnappte, machte Eddie fast wahnsinnig. Er spürte, wie sich alles drehte, und es kostete ihn Mühe, sich in dem Boot auf den Beinen zu halten. Es war seine absolute Hilflosigkeit, die seine Lage so qualvoll machte. Carol-Ann befand sich in einer furchtbaren Situation, und er konnte nichts tun, gar nichts. Er bemerkte, daß er seine Fäuste immer wieder krampfhaft schloß und öffnete, und zwang sich, damit aufzuhören.
Das Boot erreichte die Küste. Es wurde an einem schwimmenden Ponton vertäut, von dem eine Gangway zum Kai führte. Die Crew half den Fluggästen beim Aussteigen, dann folgte sie ihnen die Laufplanke hinauf und durch den Zoll.
Die Abfertigung war reine Formsache, und die Passagiere konnten sich umgehend in die kleine Ortschaft begeben. Gleich an der Straße, dem Hafen gegenüber, befand sich ein ehemaliges Gasthaus, das fast völlig vom Personal der Fluggesellschaft übernommen worden war. Das war das Ziel der Crew.
Eddie verließ die Zollabfertigung als letzter. Als er ins Freie trat, wandte sich ein Passagier an ihn und fragte: »Sind Sie der Ingenieur?«
Eddie verkrampfte sich. Der Fluggast war Mitte Dreißig, etwas kleiner als er, aber breiter und muskulös. Er trug einen hellgrauen Anzug, eine Krawatte mit Nadel und einen grauen Filzhut. »Ja, ich bin Eddie Deakin.«
»Und ich Tom Luther.«
Ein roter Schleier schien sich vor Eddies Augen zu schieben, und seine Wut überwältigte ihn. Er packte Luther am Revers, schwang ihn herum und schmetterte ihn gegen die Wand der Zollabfertigung. »Was habt ihr mit Carol-Ann gemacht?« keuchte er. Damit hatte Luther nicht gerechnet, er hatte ein verängstigtes, williges Opfer erwartet. Eddie schüttelte ihn, daß seine Zähne klapperten. »Du gottloser Hurensohn, wo ist meine Frau?«
Luther erholte sich rasch von seinem Schock, und der benommene Gesichtsausdruck schwand. Er brach Eddies Griff mit einer schnellen, heftigen Bewegung und holte zu einem Kinnhaken aus. Eddie wich aus und boxte ihn zweimal in die Magengrube. Luft zischte wie aus einem Kissen aus Luther, und er krümmte sich keuchend zusammen. Er war zwar stark, aber nicht
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