Nacht über der Menschheit
verwundert, weil er noch so groß und kräftig wirkte, dann stürzten sie sich auf die Bücher.
Aber bald kamen auch sie nicht mehr. Katterson stand stundenlang am Fenster und sah hinunter auf die verlassenen Straßen – und sie blieben leer. Jetzt war es schon vier Tage her, seit die letzte Ration aus der Trenton-Oase gekommen war. Die Uhr lief ab.
Am nächsten Tag setzte leichter Schneefall ein und hielt den ganzen Nachmittag über an. Als es Zeit wurde, zu Abend zu essen, zog North seinen Stuhl hinüber zum Schrank, kletterte drauf und suchte eine Minute lang im Schrank herum. Dann wandte er sich an Katterson.
»Ich bin sogar schlechter dran als Mother Hubbard «, sagte er. »Sie hatte wenigstens einen Hund.«
»Was?«
»Ich bezog mich auf ein Kindermärchen«, sagte North. »Was ich damit sagen wollte: Wir haben nichts mehr zu essen.«
»Nichts?« fragte Katterson niedergeschlagen.
»Absolut nichts.« North lächelte dünn. Katterson hatte wieder Magenschmerzen. Er lehnte sich zurück und schloß die Augen.
Den ganzen nächsten Tag fiel leichter Schnee. Katterson verbrachte die meiste Zeit damit, aus dem kleinen Fenster zu starren, und er sah eine helle, saubere Schneedecke, die alles in Sichtweite bedeckte.
Als Katterson am nächsten Tag aufstand, war North gerade damit beschäftigt, die Lederdeckel von seiner Ausgabe der griechischen Stücke abzureißen. Neugierig und erstaunt sah Katterson zu, wie North das rote Einbandleder dann in einen Topf mit kochendem Wasser warf.
»Oh, Sie sind auf? Ich bereite gerade das Frühstück zu.«
Der Einband war kaum zu beißen, aber sie kauten so lange darauf herum, bis es ein weicher Brei war, und schluckten diesen dann, um ihren gequälten Mägen wenigstens etwas Arbeit zu verschaffen. Katterson würgte, als er den letzten Rest herunterschluckte.
Wieder ein Tag durch das Verspeisen von Bucheinbänden überstanden.
»Die Stadt ist tot«, sagte Katterson vom Fenster her, ohne sich umzudrehen. »Ich habe bisher noch niemanden auf der Straße gesehen. Überall ist Schnee.«
North schwieg.
»Das ist verrückt, Hal«, sagte Katterson plötzlich. »Ich werde hinuntergehen und etwas zu Essen besorgen.«
»Wo?«
»Ich werde den Broadway hinuntergehen und sehen, was ich finden kann. Vielleicht streunt irgendwo ein Hund. Wir können hier nicht ewig ausharren.«
»Gehen Sie nicht, Paul.«
Katterson fuhr wütend herum. »Warum? Ist es besser, hier zu krepieren, statt wenigstens zu versuchen, etwas zu bekommen? Sie sind ein kleiner Mensch, Sie brauchen weniger als ich. Ich gehe den Broadway hinunter – vielleicht gibt es dort etwas. Immerhin kann es nicht schlechter werden als es jetzt schon ist.«
North lächelte. »Dann gehen Sie.«
Katterson steckte sich sein Messer ein, zog alle warme Kleidung an, die er finden konnte, und stieg dann die Treppen hinab. Er schien zu schweben, so leicht war ihm im Kopf. Sein Magen war nur noch ein harter Knoten.
Die Straßen waren leer. Eine dünne Schneedecke lag überall, sie umhüllte die bizarren Ruinen der Stadt. Katterson schlug die Richtung zum Broadway ein, hinterließ Spuren im unberührten Schnee.
An der Ecke 96. Straße und Broadway entdeckte er erste Spuren des Lebens – ein paar Leute an der nächsten Ecke. Mit wachsender Erregung hielt er auf die 95. Straße zu, kam aber zu spät.
Ein lebloser Körper lag im Schnee, und zwei Jungen von etwa zwölf Jahren stritten sich über den Besitz des Toten, während ein dritter sie lauernd umschlich. Katterson sah ihnen einen Augenblick zu, dann überquerte er die Straße und ging weiter.
Jetzt dachte er nicht mehr länger an den Schnee und die Einsamkeit der verlassenen Stadt. Mit gleichmäßigen, fast maschinenhaften Schritten marschierte er weiter. Die Welt um ihn herum zerbrach immer schneller, und seine einzige Zuflucht lag in seiner einsamen Wanderung.
Für einen kurzen Augenblick drehte er sich um und sah zurück. Da waren nur seine Fußspuren – eine lange Spur, die sich in der Ferne verlor; die einzigen Merkmale, die die weiße Welt unterbrachen. Er machte sich Zeichen an den verlassenen Häuserblocks.
90., 87., 85. Straße. Als er an der 84. Straße angekommen war, sah er einen dunklen Fleck an der nächsten Ecke. Er beschleunigte seinen Schritt. Als er näherkam, erkannte er, daß es ein Mensch war, der im Schnee lag. Katterson ging leise heran und stand dann neben der Gestalt.
Der Fremde lag mit dem Gesicht nach unten. Katterson bückte sich und drehte
Weitere Kostenlose Bücher