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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Im Verlauf seiner Armee-Karriere war er in allen Teilen des Stücks der Welt gewesen, das er als sein Land betrachtete – der Streifen Land zwischen dem radioaktiven Appalachen-Gebirge und dem Atlantik auf der anderen Seite. Der Feind hatte genau berechnete Feuerwände auf dem amerikanischen Kontinent errichtet, die Nordamerika in viele Streifen teilten und alle durch unüberwindliche Atomwüsten voneinander trennten. Ein Flugzeug konnte darüber hinwegfliegen, falls es noch welche davon gab. Wissenschaft, Industrie und Technologie waren tot, wie Katterson wußte. Ohne ihn wahrzunehmen, starrte er in den Fluß. Dann setzte er sich auf den Rand des Kraters und ließ seine Beine baumeln.
    Was war mit der schönen neuen Welt geschehen, die das einundzwanzigste Jahrhundert mit solch stolzen Hoffnungen begonnen hatte? Hier saß Paul Katterson, wahrscheinlich der größte und stärkste Mann im ganzen Land und ließ seine Beine in einen riesigen Krater baumeln, während in seinen Eingeweiden der Hunger nagte. Die Welt war tot, die glitzernde Stromlinien-Welt der Chromverkleidungen und Düsenflugzeuge. Eines Tages würde es vielleicht neues Leben geben. Eines Tages ...
    Katterson starrte auf das Wasser in dem Krater. Irgendwo über dem Meer waren andere Länder, ebenso vernichtet wie dieses. Und irgendwo in der Ferne gab es weite Prärien, Gras, wilde Tiere – abgetrennt von ihrer Umwelt durch Hunderte von Kilometern verseuchter Berge. Der Krieg hatte die Felder und Wiesen und das Vieh verschlungen, hatte die ganze Menschheit untergepflügt.
    Katterson stand auf und ging durch die einsame Straße zurück. Jetzt war es dunkel, und die paar Gaslaternen warfen ein gespenstisches Licht. Die Felder waren tot, und was von der Menschheit übriggeblieben war, rottete sich in den zerbombten Städten zusammen, ausgenommen die paar Glücklichen, die zufällig in einer der über das Land verstreuten Oasen lebten. New York war eine Stadt der lebenden Skelette, die nach Nahrung suchten, die anderen bekämpften und darauf hofften, morgen irgendwo Brot zu bekommen.
    Ein kleiner Mann stieß mit Katterson zusammen, der sich die meiste Zeit in Deckung hielt. Katterson sah zu ihm hinab und hielt ihn am Arm fest. Ein Familienvater, vermutete er, der es eilig hatte, nach Hause zu seinen Kindern zu kommen.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der kleine Mann nervös und versuchte, sich zu befreien. Die Furcht stand offen in seinem Gesicht; Katterson fragte sich, ob er erwartete, gleich an Ort und Stelle gebraten zu werden.
    »Ich tue Ihnen nichts«, sagte Katterson. »Ich suche nur nach Nahrung, Bürger.«
    »Ich habe keine.«
    »Aber ich verhungere«, sagte Katterson. »Sie sehen so aus, als hätten Sie einen Job und etwas Geld. Geben Sie mir was zu essen, und ich werde Ihr Leibwächter oder Sklave sein, oder was immer Sie wollen.«
    »Hören Sie Mann, ich habe keine Nahrung übrig. Lassen Sie meinen Arm los.«
    Katterson ließ ihn los und sah dem Mann nach, der im Eiltempo die Straße hinunterlief. Heutzutage rennen die Menschen voreinander weg, dachte er. Malory war ähnlich geflüchtet.
    Die Straßen waren dunkel und verlassen. Katterson fragte sich, ob er nicht morgen schon irgendwo als Steak in einer Pfanne liegen würde, und es war ihm ziemlich gleichgültig. Plötzlich spürte er ein Stechen auf der Brust, griff in sein Hemd und kratzte sich. Das Fleisch über seiner Haut war fast verschwunden, und er spürte seine stoppeligen Wangen, die straff gespannte Haut.
    Dann wandte er sich um und ging in Richtung Vorstadt, umrundete Krater, kletterte über Schutthaufen. In der 50. Straße kam ein Regierungs-Jeep herangefahren und hielt neben ihm. Zwei Soldaten mit Gewehren kletterten heraus.
    »Ziemlich spät für einen Spaziergang, Bürger«, sagte einer der Soldaten.
    »Brauche etwas frische Luft.«
    »Das ist alles?«
    »Was denken Sie denn?« fragte Katterson.
    »Sie sind nicht etwa auf Jagd, he?«
    Katterson griff nach dem Soldaten. »Hör auf, du miese Ratte ...«
    »Ruhig, Junge, ruhig«, sagte der andere Soldat und zog ihn zurück. »Wir haben nur Spaß gemacht.«
    »Schöner Spaß«, sagte Katterson. »Sie können es sich leisten, zu spaßen – um Nahrung zu bekommen, brauchen Sie nur diese Klamotten anzuziehen. Ich weiß, wie es bei Ihnen in der Armee läuft.«
    »Schon lange nicht mehr«, sagte der zweite Soldat.
    »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« fragte Katterson. »Ich war regulärer Armeeangehöriger über sieben Jahre, bis

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