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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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diesem Abschnitt. Aufmerksam, klug, produktiv.
    Seine Lieblingsbäume. Er spielte gern ein Spielchen mit sich selbst, indem er so tat, als besäßen die Bäume Persönlichkeiten, Namen, Identitäten. Da brauchte man sich gar nicht viel auszudenken.
    Holbrock schaltete die Sprechanlage ein. »Guten Morgen, Cäsar«, sagte er. »Alkibiades, Hektor. Guten Morgen, Plato.«
    Die Bäume kannten ihre Namen. Als Antwort wedelten sie mit ihren Gliedern, als ginge ein Sturm durch das Tal. Holbrock sah die Früchte, fast ausgereift, lang, dick und schwer von dem berauschenden Saft. Die Augen der Bäume – glitzernde, schuppen artige Plättchen auf den Stämmen der Bäume – flackerten und drehten sich in alle Richtungen, um nach Holbrock zu suchen. »Ich bin nicht im Gehölz, Plato«, sagte Holbrock. »Ich stehe noch hier oben im Verwaltungsgebäude. Ich werde bald unten sein. Ist ein großartiger Morgen, nicht wahr?«
    Aus der modrigen Dunkelheit des Bodens unter den Bäumen kam die lange, rosa Schnauze des Saftdiebes hervor. Mißmutig beobachtete Holbrock den dreisten Nager, wie er über den Boden huschte und mit einem Satz an Cäsars massivem Stamm hing. Dann kletterte er zwischen den Augen des großen Baumes geschickt höher. Cäsars Gliedmaßen zitterten wütend, aber er konnte den kleinen Plagegeist nicht ausmachen. Der Saftdieb verschwand zwischen den Blättern und erschien dann neun Meter weiter oben in der Höhe, in der Cäsar seine Früchte trug. Die Schnauze des Nagers ging aufgeregt hin und her, dann kroch er langsam auf eine Frucht zu und begann, den Wert eines Acht-Dollar-Traums aus der fast reifen Frucht zu saugen.
    Aus Alkibiades' Krone zuckte plötzlich eine schlanke Greif-Liane hervor. Schnell wie eine Peitschenschnur überbrückte sie den Abstand zwischen Alkibiades und Cäsar und sauste auf die Stelle nieder, wo der Saftdieb saß. Das Tier hatte gerade noch Zeit, ein Wimmern auszustoßen, dann preßte der Pflanzen-Tentakel das Leben aus ihm heraus. In hohem Bogen kehrte die Liane zu Alkibiades zurück; das gähnende Maul des Baumes wurde sichtbar, als die Blätter sich teilten, die Liane sich aufrollte und der Kadaver des Saftdiebs in das Maul des Baumes hinabfiel. Alkibiades erzitterte unter einem wohligen Schauer: Die Blätter schüttelten sich, kurz und scheu, sozusagen als Eigenlob für seine schnellen Reflexe, denen er einen so guten Bissen zu verdanken hatte. Er war ein kluger Baum, und ein hübscher obendrein und sehr zufrieden mit sich selbst. Verzeihliche Eitelkeit, dachte Holbrock. Du bist ein guter Baum, Alkibiades. Alle Bäume in Sektor C sind gute Bäume. Was, wenn du vom Rost befallen bist, Alkibiades? Was wird aus deinen glänzenden Blättern und deinen schlanken Gliedern, wenn ich dich aus dem Gehölz herausbrennen muß?
    »Gut gemacht«, sagte er. »Ich mag es, wenn du so auf Draht bist wie eben.«
    Alkibiades schüttelte sich immer noch. Sokrates, vier Bäume weiter diagonal die Reihe hinunter, zog seine Äste dicht an seinen Stamm – eine Geste des Unwillens, wie Holbrock sie von dem Miesepeter gewohnt war. Nicht alle Bäume waren froh über Alkibiades' Eitelkeit, seine Einbildung und Schnelligkeit.
    Plötzlich konnte Holbrock es nicht mehr ertragen, Sektor C zuzusehen. Er schlug auf die Kontrollhebel ein und hatte dann Sektor K im Bild, das neue Gehölz am südlichen Ende des Tales. Die Bäume dort hatten keine Namen und würden auch keine bekommen. Holbrock war sich vor langer Zeit einig gewesen, daß es eine alberne Angewohnheit war, diese Bäume als Freunde oder Haustiere zu betrachten. Sie waren ein Besitz, der Geld brachte. Es war ein Fehler, sich mit ihnen einzulassen – zumal ihm jetzt viel klarer geworden war, daß einige seiner ältesten Freunde von dem Rost bedroht wurden, der von Welt zu Welt zog, um die Plantagen heimzusuchen.
    Mit etwas mehr Abstand überprüfte er Sektor K.
    Betrachte sie als Bäume, sagte er sich, nicht als Tiere. Nicht als Leute – Bäume. Sie waren nichts als Saugwurzeln, die achtzehn Meter tief in den Boden eindrangen, um Nährstoffe hervorzuholen. Sie können nicht von einem Ort zum anderen. Sie arbeiten durch Photosynthese. Sie blühen und werden befruchtet und produzieren dann dicke, phallusartige Früchte, die mit verrückten Alkaloiden gefüllt sind, die in den Gehirnen der Menschen interessante Gebilde entstehen lassen. Bäume. Bäume.
    Aber sie haben Augen und Zähne und Münder. Sie haben zum Greifen geeignete Gliedmaßen. Sie können

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