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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Schlitzen zusammengekniffen, Arme und Kopf eisverkrustet und weiß. Kattersons Kehle schien sich in seinem Mund zu befinden, so schmerzte sie bei jeder Schluckbewegung. Seine Lippen wurden vom Hunger verschlossen. 70. Straße, 65. Straße. Katterson wanderte im Zickzack hin und her – Columbus-Avenue, Amsterdam-Avenue. Columbus, Amsterdam – Namen einer Vergangenheit, die nie existiert hatte.
    Etwa eine Stunde war vergangen, dann noch eine. Die Straßen waren leer. Wer noch lebte, blieb sicherheitshalber in seiner Wohnung und beobachtete höchstens durch ein Fenster den seltsamen Riesen, der da allein durch den Schnee stapfte. Die Sonne war fast vom Himmel verschwunden – er spürte überhaupt nichts mehr, wußte nur, daß sein Ziel kurz vor ihm lag. Er konnte nicht mehr anders – nur noch weitergehen.
    Endlich die 42. Straße; Katterson schlug die Richtung ein, von der er wußte, daß er dort Malory finden würde. Jetzt stand er vor dem Gebäude. Die Treppen hoch, jetzt, wo die Nacht in die Straßen einzog, die Treppen hinauf, noch ein Stockwerk, noch eins ... Jede Stufe kam ihm wie ein Berg vor, den es zu erklettern galt, aber er trieb sich immer weiter hinauf.
    Im fünften Stock drehte sich alles um Katterson, und er setzte sich keuchend auf eine Treppenstufe.
    Ein livrierter Diener geht an ihm vorbei, die Nase hoch in der Luft, sein grüner Frack schimmert in dem gedämpften Licht. Er trägt ein gebratenes Schwein, das einen Apfel in der Schnauze hält, auf einem silbernen Tablett vor sich her.
    Katterson stürzt nach vorn, will nach dem Schwein greifen. Seine gierigen Hände gehen durch das Schwein, durch den Diener hindurch, Schwein und Diener lösen sich blitzartig in Blasen auf, die langsam davontreiben.
    Noch ein Stockwerk. Brutzelndes Fleisch auf einem Ofen, heiß, saftig, würzig, füllt es den Platz aus, an dem bisher sein Magen gewesen war. Sorgsam setzt er einen Fuß vor den anderen und erreicht schließlich das oberste Stockwerk. Auf der obersten Stufe schwankt er ein paar Sekunden, fällt fast rückwärts wieder hinunter, klammert sich aber am Treppengeländer fest und zieht sich weiter.
    Da ist eine Tür – er sieht sie, hört lauten Krach, der durch die Tür dringt. Da wird ein Fest gefeiert, ein Bankett, und er will unbedingt daran teilnehmen. Den Gang hinunter, nach links, klopf an die Tür ...
    Der Lärm kommt näher.
    »Malory! Malory! Ich bin's, Katterson, der große Katterson. Ich will zu Ihnen. Machen Sie auf, Malory!«
    Die Türklinke bewegt sich.
    »Malory, Malory!«
    Katterson sinkt in dem Flur auf die Knie und fällt vornüber aufs Gesicht, als die Tür schließlich aufgeht.
     

 
Die Baumpest
     
    Von dem Verwaltungsgebäude auf der grauen, nadelscharfen Spitze von Dolan's Hill konnte Zen Zolbrock alles sehen, was ihm wichtig war: die Saftbaum-Gehölze in dem breiten Tal, den schnell dahineilenden Fluß, in dem seine Nichte Naomi so gern badete, dahinter den großen See. Im Norden war auch der Abschnitt in Sektor C zu erkennen, wo man eine Infektion, vermutete und wo – oder bildete er sich das nur ein? – die glänzenden Blätter der Saftbäume bereits mit den orangefarbenen Flecken der Rostkrankheit befallen waren.
    Wenn seine Welt zu Ende ging, dann war das der Anfang vom Ende.
    Holbrock stand am Fenster des Info-Zentrums im Obergeschoß des Hauses. Es war früher Morgen, zwei blasse Monde hingen immer noch an dem heller werdenden Himmel, aber aus den Hügeln stieg bereits die Sonne auf. Bevor Holbrock morgens das Haus verließ, kontrollierte er die gesamte Plantage. Ortungsgeräte und Sensoren lieferten ihm Daten von den entferntesten Punkten. Leicht vorgebeugt ließ Holbrock seine dicken Finger über die Bedienungsknöpfe und -hebel spielen, und gleich darauf unterstützten flackernde Bildschirme das fahle Licht, das durch das Fenster hereinfiel. Zwanzigtausend Hektar Saftbäume gehörten ihm – ein Vermögen, obwohl die Differenz zwischen seinem Einsatz und den Kosten nicht sehr hoch war. Das war sein Königreich. Er überprüfte Sektor C, seinen Lieblingsabschnitt. Ja. Der Bildschirm zeigte lange Reihen Bäume, fünfzehn Meter hoch, deren lianenartige Äste ständig in Bewegung waren. Das war der gefährdete Abschnitt, der bedrohte Sektor. Holbrock musterte intensiv die Blätter der Bäume. Rosteten sie schon? Die Berichte aus dem Labor würden erst später kommen. Er studierte die Bäume, sah das Glitzern ihrer Augen, das Schimmern ihrer Fänge. Da waren gute Bäume in

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