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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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das Tempo nicht, bis wir wieder in meinem Zimmer waren.
    »Ich werde ihn fragen, wenn er kommt.«
    »Erwähnen Sie es bloß nicht. Vielleicht findet er es gar nicht heraus, und der ganze Ärger bleibt mir erspart.«
    Sie hielt neben meinem Bett an, trat zurück, betrachtete mich und schüttelte den Kopf.
    »Hier oben lebt noch jemand, nicht wahr? Wer ist es?«
    »Was meinen Sie?«
    »Außer Tony und den Angestellten, Ihnen und mir. Diese Räume sahen bewohnt aus.«
    »Ich habe nie jemand anderen gesehen. Anscheinend fangen Sie an, sich Dinge einzubilden, Geschichten zu erfinden. Mr.
    Tatterton wird toben. Ich will kein Wort mehr darüber hören«, warnte sie. Ihre Augen waren jetzt schmal und kalt. »Wenn ich wegen dieser Sache Ärger bekomme… werden wir beide darunter leiden«, stieß sie hervor, und der drohende Unterton in ihrer Stimme war jetzt ganz deutlich herauszuhören. »Ich will meinen Job nicht wegen eines verkrüppelten Mädchens verlieren, das nicht weiß, was sich gehört!«
    Verkrüppeltes Mädchen! Noch nie hatte jemand mich so genannt. Eine solche Wut stieg in mir hoch, daß mir Tränen in die Augen traten. Wie sie dieses Wort »verkrüppelt«
    ausgesprochen hatte! Als ob ich kein Mensch mehr wäre!
    Ich war kein verkrüppeltes Mädchen!
    »Ich habe nach Ihnen gerufen«, verteidigte ich mich. »Ich hatte Hunger, aber es war niemand da. Nachdem ich es geschafft hatte, mich in den Rollstuhl zu setzen, habe ich abermals nach Ihnen gerufen, aber Sie waren nicht da.«
    »Ich habe mir nur eine kurze Pause gegönnt. Dann bin ich gleich wieder zurückgekommen. Wenn Sie nur ein wenig Geduld gehabt hätten!«
    »Geduld!« rief ich aus. Als sich diesesmal unsere Blicke kreuzten, wich ich dem ihren nicht mehr aus. Empörung loderte in mir auf wie ein gigantisches Feuer. Ich blickte sie unverwandt an, während die Wut aus mir herausbrach. Mrs.
    Broadfield wich zurück, als hätte ich sie ins Gesicht geschlagen. In ihrem Gesicht zeichnete sich eine ungeheure Erregung ab, ihr Mund arbeitete, als würde er versuchen, irgendwelche Worte zu formulieren, ihre Augen wurden erst groß und dann klein. Die Adern an ihren Schläfen traten hervor und zeichneten sich wie ein Netz unter ihrer dünnen, blassen Haut ab. Sie machte ein paar Schritte auf mich zu.
    »Ja, geduldig«, wiederholte sie verächtlich. »Sie sind völlig verzogen! Solche Patientinnen wie Sie habe ich schon öfters gehabt – reiche junge Mädchen, die ihr ganzes Leben lang verhätschelt worden sind und alles bekommen haben, was sie wollten. Sie wissen nicht, was es bedeutet, Opfer zu bringen und zu kämpfen, auf etwas zu verzichten und Schmerz und Elend zu ertragen.
    Aber das eine kann ich Ihnen sagen«, fuhr sie fort, das Gesicht zu einer grinsenden Fratze verzerrt, als wäre sie geisteskrank, »reiche, verhätschelte, verkorkste Menschen sind schwach, und sie haben nicht die Kraft, gegen das Unglück anzukämpfen, wenn es über sie hereinbricht. Und so bleiben sie gelähmt… Krüppel, gefangen in ihrem eigenen Reichtum und Luxus!« Sie preßte die Hände gegeneinander und rieb sie kräftig, als stünde sie draußen in der Kälte. »Lehm, den man beliebig formen kann, nicht mehr fähig, aus sich selbst irgend etwas zu machen. Oh, sie sind noch immer weich und hübsch, aber sie sind wie…« Sie blickte hinüber zur Kommode, »wie Negliges aus Seide, die man gerne anfaßt und benutzt und dann wegwirft.«
    »Ich bin nicht so. Ich nicht!« schrie ich.
    Sie lächelte erneut, diesmal so, als würde sie zu einem völligen Idioten sprechen.
    »Nein? Warum befolgen Sie dann nicht meine Anordnungen und tun das, was ich Ihnen sage? Wieso widersetzen Sie sich mir andauernd?«
    »Ich folge Ihren Anordnungen durchaus. Aber ich bin so…«
    Die Worte schnürten mir die Kehle zu. Ich hatte das Gefühl, ich müßte daran ersticken.
    »Nun?«
    »Allein. Ich habe meine Eltern verloren, ich habe meine Freunde verloren, und ich bin… ich bin…« Sie nickte, um mich zu ermutigen, es auszusprechen. Aber ich wollte es nicht sagen.
    »Gelähmt?«
    »NEIN!«
    »O doch, das sind Sie! Und Sie werden gelähmt bleiben, wenn Sie nicht auf mich hören. Ist es das, was Sie wollen?«
    »Sie sind nicht Gott«, zischte ich. Es gelang mir kaum mehr, die Niedergeschlagenheit, die in mir aufstieg, zu unterdrücken.
    »Nein, das habe ich auch nie behauptet.« Ihr ruhiger, beiläufiger Ton machte mich noch wütender. »Aber ich bin eine ausgebildete Krankenschwester. Ausgebildet darin,

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