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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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grinste.
    »Was hat der große Buddha gesagt?« Seine Augen funkelten boshaft. Er war immer glücklich, wenn er Luke mit einer spöttischen Bemerkung ärgern konnte.
    »Drake, bitte, du verdirbst mir die Stimmung«, rief ich. »Ein Künstler muß den Augenblick einfangen und ihn festhalten wie einen kleinen Vogel… sanft und doch entschlossen.« Ich haßte es, wenn Luke und Drake sich stritten. Meine flehenden Blicke und Bitten waren erfolgreich. Drakes Gesicht wurde sanfter, seine Haltung entspannte sich. »Es tut mir leid. Ich dachte nur, ich könnte unseren Platon für einen Moment von hier entführen. Wir brauchen drüben in der Schule einen neunten Mann zum Baseballspielen«, fügte er hinzu.
    Luke sah von seinem Englischbuch auf und schien völlig überrascht über diese Einladung. Seit Drake in diesem Frühjahr für die Semesterferien nach Hause gekommen war, hatte er fast die gesamte Zeit mit seinen älteren Freunden verbracht.
    »Nun, ich…«, Luke sah mich an. »Ich muß für die Prüfung lernen, und ich dachte, während Annie mich malt…«
    »Schon gut, Einstein«, unterbrach ihn Drake, und seine Stimme triefte vor Sarkasmus. »Weißt du, Bücher sind nicht alles im Leben«, fügte er altklug hinzu. »Es ist nämlich auch wichtig, daß man die Menschen kennt, daß sie einen mögen und respektieren. Das ist das Geheimnis des Erfolgs. Die Leute, die heute leitende Positionen innehaben, haben oft mehr auf dem Sportplatz als im Klassenzimmer gelernt«, meinte er belehrend und schwang dabei den schlanken Zeigefinger der rechten Hand in der Luft. Luke antwortete nicht. Er strich sich mit den Händen das Haar zurück und betrachtete Drake mit einem stoischen, durchdringenden Blick, den dieser nicht ertragen konnte. »Ach, ich weiß, ich verschwende nur meine Zeit.«
    Damit wandte sich Drake wieder meinem Bild zu:
    »Ich habe dir doch schon gesagt, daß Farthy grau und nicht blau ist«, wies er mich zurecht.
    »Du warst doch erst fünf Jahre alt, als du dort gewohnt hast.
    Wie kannst du dir da so sicher sein?« warf Luke ein.
    »So ein riesiges Haus vergißt man nicht«, sagte Drake und kräuselte die Lippen.
    »Aber du hast auch gesagt, daß es draußen zwei Swimmingpools gäbe! Und Logan hat dir widersprochen und erzählt, daß einer draußen und einer im Haus ist«, fuhr Luke fort. Wenn es um Farthy ging, nahmen Luke und ich beide alles sehr genau und klammerten uns an jede Kleinigkeit, die wir erfahren hatten. Man hatte uns so wenig erzählt.
    »Ach tatsächlich, Sherlock Holmes?« antwortete Drake, und seine Augen wurden schmal. Er ließ sich nicht gerne zurechtweisen, vor allem nicht von Luke. »Nun, ich habe nie behauptet, daß beide Schwimmbecken draußen waren; ich habe nur gesagt, daß es zwei gab. Du hörst eben nicht zu, wenn ich etwas sage. Es wundert mich, daß du in der Schule so gut bist. Wie machst du das nur?«
    »Drake, bitte!« rief ich.
    »Es stimmt doch, er hört nicht zu! Außer wenn du ihm etwas sagst«, fügte er hinzu und lächelte befriedigt, da er einen wunden Punkt getroffen zu haben glaubte. Luke errötete, und ein trauriger Blick aus seinen blauen Augen streifte mich.
    Ich sah über ihn hinweg, hinüber zu den Willies, die im Licht der ersten Sonnenstrahlen glänzten. Der Wind trieb jetzt einen Wolkenfetzen vor sich her, der die Form einer Träne hatte.
    Plötzlich verspürte ich das Bedürfnis zu weinen. Es war nicht nur der Streit zwischen Luke und Drake, der mich bedrückte.
    Immer wieder überkam mich diese Melancholie wie eine dunkle Wolke, die sich vor die Sonne schob. Dann verspürte ich oft das Bedürfnis zu malen; denn wenn ich vor meiner Leinwand saß, schwand die Traurigkeit, und ein tiefer Frieden erfüllte mich. Auf der Leinwand erschuf ich die Welt meiner Träume und Wünsche. Ich konnte es für immer Frühling werden lassen oder einen strahlenden, wunderbaren Winter herbeizaubern. Ich fühlte mich, als hätte ich magische Kräfte; ich konnte in meinen Gedanken ein Bild heraufbeschwören und es dann auf der leeren Leinwand erstehen lassen. Während ich an meinem letzten Bild von Farthy gearbeitet hatte, hatte ich gespürt, wie mein Herz leichter und die Welt um mich herum immer heiterer geworden war, als sei ein dunkler Schatten, der auf meiner Seele gelastet hatte, gewichen. Jetzt, da Drake mir die Stimmung verdorben hatte, fühlte ich, wie mich erneut eine Welle der Trauer überspülte.
    Plötzlich wurde mir bewußt, daß Luke und Drake mich anstarrten. Beide

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