Nacht über Juniper
Einige sagen, daß der noch nicht vorbei ist.«
»Wird wohl kein so großer Kampf sein«, sagte Einauge. »Ich weiß nicht«, hielt ich dagegen. »Nicht einmal die Lady kann überall zugleich sein. Wie sind die so schnell hierhergekommen, verdammt? Sie hatten doch keine Teppiche.« »Auf dem Landweg«, sagte Shed.
»Auf dem Landweg? Aber…«
»Der ist kürzer als die Seereise. Die Straße zieht sich quer hindurch. Wenn man Tag und Nacht scharf reitet, kann man die Strecke in zwei Tagen schaffen. Als ich ein Junge war, ha- ben sie Rennen ausgetragen. Als der neue Herzog an die Regierung kam, hörte das auf.« »Ist wohl auch nicht so wichtig. Also. Was jetzt?« »Wir müssen herausfinden, was hier passiert ist«, sagte Einauge. Er brummte: »Wenn dieser Schweinepriester Goblin sich hat umbringen lassen, dann drehe ich ihm den Hals um.« »In Ordnung. Aber wie stellen wir das an? Die Unterworfenen kennen uns.« »Ich gehe«, erbot Shed sich.
Man kann sich keine härteren Blicke vorstellen als die, die wir auf Marron Shed hinabreg- nen ließen. Er wand sich kurz. Dann sagte er: »Ich lasse mich nicht erwischen. Warum sollten sie sich auch mit mir abgeben? Sie kennen mich ja nicht.« »Einverstanden«, sagte ich. »Zieh ab.«
»Croaker…«
»Wir müssen ihm vertrauen, Einauge. Falls du nicht selbst gehen möchtest.« »Ach nein. Shed, wenn du uns reinreitest, erwische ich dich, und wenn ich dazu aus dem Grab aufsteigen muß.«
Shed lächelte schwach und zog dann zu Fuß los. Auf Meadenvils Straßen waren wenige Be-
rittene unterwegs. Wir fanden eine Kneipe und richteten uns dort ein; zwei Mann blieben auf der Straße und hielten die Augen offen. Als Shed zurückkehrte, war die Sonne schon am Un- tergehen.
»Nun?« fragte ich und winkte einen neuen Humpen Bier heran. »Gute Nachrichten sind es nicht. Ihr sitzt hier fest. Euer Leutnant ist mit dem Schiff abge- fahren. Zwanzig, fünfundzwanzig von euch wurden getötet. Der Rest ist mit dem Schiff weg. Der Fürst verlor…«
»Nicht alle von ihnen«, sagte Einauge und deutete mit spitzem Finger über den Rand seines Bechers. »Jemand ist dir gefolgt, Shed.« Erschrocken wirbelte Shed herum.
Im Eingang standen Goblin und Pfandleiher. Pfand hatte offenbar ein paar Stiche abbekom- men. Er hinkte zu einem Stuhl und ließ sich hineinfallen. Ich sah nach seinen Verletzungen. Goblin und Einauge wechselten Blicke, die alles mögliche bedeuten konnten, vermutlich aber besagten, daß sie froh waren, sich wiederzusehen. Die anderen Kunden begannen sich abzusetzen. Es hatte sich herumgesprochen, wer wir wa- ren. Sie wußten, daß einige üble Kerle hinter uns her waren. »Setz dich, Goblin«, sagte ich. »King, du und Otto, ihr holt frische Pferde.« Ich gab ihnen das meiste Geld, das ich noch bei mir hatte. »Und alle Vorräte, die ihr hierfür kriegen könnt. Ich glaube, wir haben einen langen Ritt vor uns. Stimmt’s Goblin?« Er nickte.
»Raus mit der Sprache.«
»Heute morgen tauchten Wisper und der Hinker auf. Kamen mit fünfzig Mann. Männern der Schar. Suchten nach uns. Machten genug Getöse, daß wir sie kommen hörten. Der Leutnant gab es an alle weiter, die noch an Land waren. Einige schafften es nicht rechtzeitig an Bord. Wisper kam zum Schiff. Der Leutnant mußte ablegen. Wir haben neunzehn Mann zurückge- lassen.«
»Was macht ihr denn noch hier?«
»Ich habe mich freiwillig gemeldet. Bin hinter der Landspitze über Bord gesprungen, schwamm wieder ans Ufer und kam zurück, um auf euch zu warten. Ich soll euch sagen, wo ihr mit dem Schiff zusammentrefft. Pfand bin ich per Zufall begegnet. Ich war gerade dabei, ihn zusammenzuflicken, als ich Shed herumschnüffeln sah. Wir sind ihm hierher gefolgt.« Ich seufzte. »Sie sind unterwegs nach Schornrohr, nicht wahr?« Das überraschte ihn. »Ja. Woher weißt du das?« Ich erklärte es ihm kurz.
Er sagte: »Pfand, erzähl ihnen besser, was du weißt. Pfand ist an Land zurückgeblieben. Er war der einzige Überlebende.«
»Das ist ein privates Abenteuer der Unterworfenen«, sagte Pfand. »Sie haben sich heimlich
hierhergeschlichen. Sollten eigentlich woanders sein. Ich denke mal, sie haben eine Ge- legenheit gewittert, das Konto auszugleichen, da wir nun nicht mehr auf der Liste der Lieblin- ge der Lady stehen.«
»Sie weiß nicht, daß sie hier sind?«
»Nein.«
Ich lachte leise. Trotz der ernsten Lage konnte ich nicht anders. »Dann steht ihnen eine Überraschung bevor. Die alte Hexe wird hier höchstpersönlich erscheinen.
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