Nacht über Juniper
wie ihm traut man eigentlich keinen Sinn für Schönheit zu. »Dort unten.« Otto zeigte auf eine Häusergruppe, die eine Dreiviertelmeile gen Süden zu se- hen war. Sie sah nicht wie ein Bauernhof aus. »Ich wette drauf, daß das eine Straßenschenke ist«, sagte er. »Und was willst du darauf wetten, daß er dorthin gegangen ist?« »Schweiger?«
Er nickte, zögerte jedoch. Er wollte weiter der Spur folgen, um sicherzugehen. Wir stiegen auf und überließen ihm die restliche Lauferei. Für meinen Teil hatte ich vom Umherlatschen genug.
»Was hältst du davon, wenn wir dort übernachten?« fragte Einauge. Ich überprüfte den Sonnenstand. »Darüber denke ich gerade nach. Wie sicher werden wir dort wohl sein, was meinst du?«
Er zuckte die Achseln. »Dort steigt Rauch auf. Sieht nicht so aus, als ob man dort schon Är-
ger gehabt hätte.«
Gedankenschnüffler. Auf dem Weg hatte ich die Gehöfte ausgespäht und nach Anzeichen gesucht, daß die Haufenwesen die Gegend heimsuchten. Die Anwesen hatten einen friedli- chen und geschäftigen Eindruck gemacht. Ich vermutete, daß die Kreaturen ihre Raubzüge auf die Stadt beschränkten, wo sie weniger Aufsehen verursachten. Ravens Spur erreichte die Schüttlinger Straße eine halbe Meile oberhalb der Häuser, die Ot- to für eine Schenke hielt. Ich suchte nach Gemarkungen, weil ich nicht einschätzen konnte, wie weit wir südlich der zwölften Meile gekommen waren. Schweiger winkte und zeigte vor- aus. Raven hatte sich in der Tat nach Süden gewandt. Wir folgten ihm und ritten bald am sechzehnten Meilenstein vorbei.
»Wie weit willst du ihm folgen, Croaker?« fragte Einauge. »Ich möchte wetten, daß er Dar- ling hier draußen aufgesammelt hat und dann einfach weitergezogen ist.« »Das wird er wohl getan haben. Wie weit ist es nach Schüttlingen? Weiß das jemand?« »Zweihundertsiebenundvierzig Meilen«, antwortete Kingpin. »Rauhes Gelände? Werden wir unterwegs Ärger bekommen? Mit Banditen oder derglei- chen?«
»Nicht daß ich wüßte«, sagte King. »Allerdings gibt’s da Berge. Ziemlich rauhe sogar. Da brauchen wir eine Weile, bis wir durch sind.« Ich stellte ein paar Berechnungen an. Für die Entfernung brauchte man etwa drei Wochen, wenn man sich nicht ein Bein ausriß. Das würde Raven mit Darling und mit den Papieren im Gepäck nicht tun. »Ein Wagen. Er muß einen Wagen gehabt haben.« Mittlerweile war auch Schweiger wieder aufgestiegen. Rasch erreichten wir die Häuser. Otto hatte recht gehabt. Ganz klar eine Gaststätte. Als wir abstiegen, kam ein Mädchen heraus, starrte uns mit großen Augen an und flitzte wieder hinein. Wir sahen wohl etwas abgerissen aus. Die, die nicht knallhart aussahen, wirkten fies. Ein besorgter dicker Mann kam heraus und würgte seine Schürze. Sein Gesicht konnte sich nicht entschließen, ob es nun rot bleiben oder bleich werden sollte. »Einen schönen Nachmit- tag«, sagte ich. »Kriegen wir was zu essen und Futter für die Tiere?« »Wein«, krähte Einauge, als er seinen Sattelgurt löste. »Ich muß in eine Gallone von Wein tauchen. Und in ein Federbett.«
»Denk ich mir«, sagte der Mann. Seiner Rede konnte man nur schwer folgen. Die Mundart von Meadenvil ist ein Dialekt jener Sprache, die man in Juniper spricht. In der Stadt kam man einigermaßen zurecht, weil es ständigen Verkehr zwischen Meadenvil und Juniper gab. Aber dieser Bursche sprach einen ländlichen Dialekt mit veränderter Betonung. »Und ihr könnt euch das auch leisten?«
Ich holte zwei von Ravens Silbermünzen hervor und reichte sie ihm. »Sag mir Bescheid, wenn wir drüber sind.« Ich warf meine Zügel über das Haltegeländer, stieg die Stufen hinauf und tätschelte ihm im Vorbeigehen den Arm. »Mach dir keine Sorgen. Wir sind keine Bandi- ten. Sondern Soldaten. Wir folgen jemandem, der hier vor einiger Zeit auf der Durchreise
war.«
Er widmete mir einen ungläubigen Blick. Daß wir nicht in den Diensten des Fürsten von Meadenvil standen, war offenkundig.
Der Gasthof war von der angenehmen Sorte, und obwohl der dicke Wirt mehrere Töchter hatte, hielten sich doch alle zurück. Nachdem wir gegessen und die meisten von uns sich zur Ruhe begeben hatten, entspannte der Gastwirt sich allmählich. »Willst du mir ein paar Fragen beantworten?« fragte ich. Ich legte eine Silbermünze auf den Tisch. »Könnte was wert sein.«
Er setzte sich mir gegenüber und musterte mich aus schmalen Augen über einem riesigen Bierkrug. Seit unsrer Ankunft hatte er das Ding
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