Nacht unter Tag
war und eine vage Verbindung zu dem Ort hatte, an dem die Poster gefunden worden waren, hieß das nicht, dass er etwas mit der Entführung zu tun hatte. Vielleicht hatte sie den falschen Mann vor sich. Vielleicht war das Bindeglied Matthias, der Mann, der die Marionetten und die Bühnenbilder entwarf. Der Mann, der entweder Mörder oder Opfer sein konnte.
Während sie noch die Abbildungen von Porteous’ Arbeiten betrachtete, rief sie ihren Praktikanten Jonathan auf dem Handy an.
»Ich hab versucht, dich gestern Abend zu erreichen«, berichtete er. »Aber dein Handy war abgeschaltet. Da habe ich die Eisprinzessin in Rotheswell angerufen, und sie sagte, du seist nicht zu sprechen.«
Bel lachte. »Sie macht sich wirklich gern wichtig, nicht wahr? Tut mir leid, dass ich dich verpasst habe. Ich war auf einer Party.«
»Auf einer Party? Ich dachte, du solltest Nancy Drew spielen?«
Einerseits dachte sie, Jonathans frecher, flirtender Ton sei etwas unangebracht. Aber sie fand es amüsant, wie absurd es klang, und so ließ sie ihn machen. »Das ist auch so. Die Party war in Italien.«
»In
Italien?
Du bist in
Italien?
«
Bel brachte Jonathan schnell auf den aktuellen Stand. »Jetzt hast du also die Innenansicht«, beendete sie ihren Bericht.
»Wow«, staunte Jonathan. »Wer hätte gedacht, dass das so aufregend wird? Keiner meiner Kumpel hat so ein Praktikum. Es ist wie Woodward und Bernstein auf der heißen Spur von Watergate.«
»So ist es überhaupt nicht«, widersprach Bel.
»Doch, natürlich. Du hast mir doch gesagt, auf dem Boden in der Villa sei Blut gewesen. Wegen Haushaltsunfällen oder Selbstmord ergreifen die Leute im Allgemeinen nicht die Flucht, man kann daraus also schon schließen, dass jemand ermordet wurde. Und das in einer Situation, die mit dem Mord und der Entführung vor zweiundzwanzig Jahren zu tun hat. Bel, es gibt da irgendwo mindestens eine sehr unangenehme Person, und du bist ihr eindeutig auf der Spur.«
»Im Moment, Jonathan, bin ich einem jungen Mann auf der Spur, der gerade seinen Vater verloren hat. Ziemlich unheimlich?«, meinte Bel leichthin.
Jonathan wurde plötzlich ernst und sagte: »Bel, sie sind nicht alle so charmant und harmlos wie ich. Wir können brutal sein. Du hast doch genug Artikel über Vergewaltigungen und Morde geschrieben, um dir darüber keine Illusionen zu machen. Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln. Es ist kein Spiel. Versprich mir, dass du es ernst nehmen wirst.«
Bel seufzte. »Wenn ich auf etwas stoße, das ernst aussieht, werde ich es ernst nehmen, Jonathan. Ich verspreche es dir. Aber inzwischen musst du etwas für mich tun.«
»Natürlich, was immer du brauchst. Ich nehme an, es setzt keine Reise in die Toskana voraus?«
»Es setzt einen Besuch des Nationalarchivs in Islington voraus, damit du alles, was dir möglich ist, über einen Mann namens Daniel Porteous herausfindest. Er dürfte Ende vierzig, Anfang fünfzig gewesen sein und starb im April in Italien, aber ich weiß nicht genau, wo. Und außerdem steht auf italienischen Sterbeurkunden fast nichts drauf. Ich suche also seine Geburtsurkunde, vielleicht eine Heiratsurkunde. Kannst du das für mich tun?«
»Bin schon dabei. Ich werde mich melden, sobald ich etwas habe. Danke, Bel. Es ist toll, mit etwas so Prickelndem zu tun zu haben.«
»Danke«, sagte Bel in die Stille hinein, trank ihren Espresso und dachte nach. Sie war nicht überzeugt, dass die Galeristin ihr in Bezug auf Gabriel Porteous viel weiterhelfen konnte. Also würde sie selbst nachforschen müssen. Die Unterlagen würden in der Provinzhauptstadt Siena sein. Aber es war sinnlos, jetzt dorthin aufzubrechen. Bis sie dort ankäme, wären alle schon nach Haus gegangen. Arbeiten am Nachmittag und die italienische Bürokratie, das passte einfach nicht zusammen.
Es half nichts. Sie würde nach Campora zurückkehren und an Grazias Pool liegen müssen. Vielleicht konnte sie Vivianne anrufen, um herauszubekommen, wie es eigentlich ihrer Familie ging. Das Leben war manchmal wirklich nicht leicht.
[home]
Edinburgh
K aren stellte den Autositz von kerzengerade etwas nach hinten und setzte sich für die Fahrt nach Edinburgh zurecht. »Ich kann dir sagen«, meinte sie, »in meinem Kopf schwirrt es nur so von diesem Fall. Jedes Mal, wenn ich denke, ich werde jetzt daraus schlau, bringt mich wieder etwas ins Stolpern.«
»Welchen Fall meinst du jetzt? Den, dem du nach Meinung der Makrone Priorität einräumst, oder den, an dem du
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