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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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machte.
    Sie war so zuversichtlich, dass sie dem Schild vor der gelbverputzten Villa keinen Glauben schenken mochte. Sie überprüfte noch einmal die Hausnummer, um sicherzugehen, dass sie vor dem richtigen Haus stand, aber sie hatte sich nicht getäuscht. Die dunkelgrünen Läden waren jedoch fest zugezogen. Die Pflanzen in den großen Terrakotta-Töpfen an der Einfahrt sahen welk und staubig aus. Zwischen dem Kies kamen hier und da Grashalme durch, und Reklamesendungen ragten aus dem Briefkasten. Alles bestätigte das
Vendesi
-Schild mit dem Namen und der Nummer eines Immobilienmaklers im benachbarten Sovicille. Wo immer Gabriel Porteous sein mochte, so wie es aussah, war er jedenfalls nicht hier.
    Es war ein Rückschlag, aber nicht das Ende der Welt. Auf dem Weg zu den Artikeln, die ihren Ruf, das Versprochene immer zu erreichen, begründet hatten, hatten größere Hindernisse gelegen. Sie musste nur einen Aktionsplan erarbeiten und durchführen. Und wenn sie tatsächlich auf Hindernisse stieß, die sie selbst nicht überwinden konnte, dann durfte sie sich auf Brodie Grants hilfreiche Mittel verlassen. Ein tröstliches Gefühl war das nicht gerade, aber besser als nichts.
    Bevor sie nach Sovicille aufbrach, beschloss sie, bei den Nachbarn nachzufragen. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand, der wusste, dass er gesucht wurde, sich große Mühe damit gab, sein Zuhause so aussehen zu lassen, als sei es unbewohnt. Bel hatte auf der Loggia eines Hauses schräg gegenüber bereits einen Mann bemerkt. Die Art und Weise, wie er sie beobachtete, als sie die Straße entlangkam und das Schild las, war ihr unbefangen vorgekommen. Es war Zeit, die Wahrheit ein wenig auszubauen.
    Sie überquerte die Straße und grüßte ihn mit einem Winken. »Hallo«, grüßte sie.
    Der Mann, dessen Alter irgendwo zwischen Mitte fünfzig und Mitte siebzig hätte liegen können, begutachtete sie mit einem Blick, der sie wünschen ließ, sie möge ein weites T-Shirt tragen statt des engen Tops mit Spaghettiträgern, das sie am Morgen ausgewählt hatte. Sie liebte Italien, aber, o Gott, sie hasste die Art, wie so viele Männer die Frauen musterten, als seien sie Frischfleisch. Der hier sah nicht einmal gut aus. Ein Auge war größer als das andere, seine Nase glich einer verunglückten Rübe, und aus seinem Unterhemd quollen Haare hervor. Er warf ihr ein schiefes Lächeln zu, glättete eine Augenbraue mit dem kleinen Finger und erwiderte ihr »Hallo«, wobei er es schaffte, das Wort mit Zweideutigkeit zu befrachten.
    »Ich suche Gabriel«, erklärte sie und zeigte über die Schulter zum Haus zurück. »Gabriel Porteous. Ich bin eine Freundin der Familie aus England. Seit Daniels Tod habe ich Gabriel noch nicht gesehen, und dies ist die einzige Adresse, die ich habe. Aber das Haus steht zum Verkauf, und es sieht nicht so aus, als würde Gabe noch da wohnen.«
    Der Mann steckte die Hände in die Taschen und zuckte mit den Schultern. »Gabriel wohnt schon länger als ein Jahr nicht mehr hier. Er soll irgendwo studieren, aber ich weiß nicht, wo. Kurz bevor sein Vater starb, kam er zurück, aber ich habe ihn seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.« Sein Lächeln war wieder da und noch etwas breiter als zuvor. »Wollen Sie mir Ihre Nummer geben? Ich könnte Sie anrufen, wenn er auftaucht.«
    Bel lächelte. »Das ist sehr nett, aber ich bin nur ein paar Tage hier. Sie sagten, Gabe würde ›irgendwo studieren‹.« Sie warf ihm einen verstehenden Blick zu. »Sie meinen wohl, er spielt wieder sein altes Spielchen?«
    Das wirkte. »Daniel, der hat hart gearbeitet. Er lungerte nicht herum. Aber Gabe? Der gammelt vor sich hin, hängt mit seinen Freunden ab. Ich hab ihn noch nie mit einem Buch in der Hand gesehen. Was für ein Studieren soll das sein? Wenn es ihm ernst gewesen wäre, hätte er sich an der Uni in Siena eingeschrieben, damit er zu Haus wohnen und nur an sein Studium denken kann. Aber nein, er zieht los, irgendwohin, wo er sich vergnügen kann.« Er schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Daniel war schon wochenlang krank, bevor Gabe auftauchte.«
    »Vielleicht hat Daniel ihm nicht erzählt, dass er krank war. Er war schon immer sehr verschlossen«, erfand Bel einfach frei und spontan.
    »Ein guter Sohn wäre so regelmäßig zu Besuch gekommen, dass er es gewusst hätte«, beharrte der Mann dickköpfig.
    »Und Sie haben keine Ahnung, wo er studiert?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ihn einmal im Zug gesehen, als ich aus

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