Nacht unter Tag
Florenz zurückkam. Also irgendwo oben im Norden. Florenz, Bologna, Padua, Perugia. Könnte überall sein.«
»Na ja. Ich werde es eben beim Makler probieren müssen. Ich hätte ihn wirklich gern gesehen. Es tut mir leid, dass ich nicht beim Begräbnis sein konnte. Waren viele von den alten Freunden hier?«
Er schien überrascht. »Es war eine Beerdigung im kleinsten Kreis. Niemand von uns Nachbarn wusste etwas davon, bis sie schon vorbei war. Danach habe ich mit Gabe gesprochen. Ich wollte ihm mein Beileid aussprechen, wissen Sie? Er sagte, sein Vater hätte es so gewollt. Aber jetzt reden Sie, als hätte man etwas versäumt.« Er nahm ein Päckchen Zigaretten heraus und zündete sich eine an. »Man kann Kindern nicht trauen, dass sie einem die Wahrheit sagen.«
Es gab eigentlich keinen Grund, das Misstrauen eines Menschen, den sie nie wiedersehen würde, zu zerstreuen, aber sie hatte sich immer daran gehalten, um nicht aus der Übung zu kommen. »Ich habe eigentlich mehr eine Art Treffen von Daniels alten Freunden gemeint. Nicht direkt die Beerdigung.«
Er nickte. »Das Künstlerpack. Er hat sie von den anderen Freunden im Dorf ferngehalten. Ich hab mal zwei von ihnen kennengelernt. Sie sind in der Villa aufgetaucht, als ein paar von uns zum Kartenspielen dort waren. Ein anderer Engländer und eine Frau aus Deutschland.« Er hustete und spuckte über das Steingeländer aus. »Ich hab nichts übrig für die Deutschen. Aber der Engländer da. Man hätte denken können, er wäre Deutscher, so wie der sich benommen hat.«
»Matthias?«, riet Bel.
»Ja, der war’s. Eingebildet. Hat Daniel behandelt, als wäre er Dreck. Als wäre er derjenige mit dem Köpfchen und dem Talent. Und es amüsierte ihn sehr, Daniel beim Kartenspielen mit den Einheimischen vorzufinden. Das Komische war, dass Daniel ihm das durchgehen ließ. Wir sind nicht lang geblieben, haben nur das Spiel zu Ende gespielt und sind dann gegangen. Wenn das die Herren Künstler und Intellektuellen sind, dann können Sie die von mir aus behalten.«
»Ich selbst habe Matthias auch nie so recht gemocht«, behauptete Bel. »Na ja, jedenfalls vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich fahre nach Sovicille rüber und seh mal zu, ob mir der Makler helfen kann, den Kontakt mit Gabe herzustellen.«
Es war erstaunlich, wie selbst die belangloseste Begegnung zum Wissen beitragen konnte, dachte Bel, als sie wieder losfuhr. Jetzt hatte sie eine zweite Quelle, die glaubte, dass Matthias trotz seines teutonischen Namen und der deutschen Partnerin Engländer war. Ein Brite, der nicht zu seinen Wurzeln stand, der künstlerische Neigungen, eine Verbindung zu den Lösegeldforderungen und eine Freundschaft mit dem Mann hatte, dessen Sohn Cat Grant und ihrem Vater unglaublich ähnlich sah. Das alles fing an, in ihrem Kopf auf spannende Weise Form anzunehmen.
Zwei junge Männer, aufstrebende Künstler, die Cat Grant kannten, weil sie in den gleichen Kreisen verkehrte. Außerdem wussten sie vom Reichtum ihres Vaters. Sie hecken einen Plan aus, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen könnten. Sie entführen Cat und ihr Kind, geben es als eine politische Tat aus. Ziehen mit dem Lösegeld los und werden nie wieder für andere als sich selbst malen müssen. Wenn man es so schnell heruntersagt, klingt es nach einer tollen Idee. Nur geht alles schrecklich schief, und Cat kommt um. Sie haben das Kind und das Lösegeld, aber jetzt sind sie im Visier einer Ermittlung in einem Mordfall.
Profi-Verbrecher würden wissen, was zu tun ist, und wären kaltblütig genug, es auszuführen. Aber diese Typen sind nette, zivilisierte Burschen, die meinten, sie erlaubten sich etwas nur geringfügig Ernsteres als einen Streich an der Kunsthochschule. Sie haben ein Boot, also fahren sie einfach weiter über die Nordsee zum Festland. Daniel landet in Italien, Matthias in Deutschland. Und irgendwann später beschließen sie, das Kind nicht zu töten oder zu verlassen. Aus welchem Grund auch immer behalten sie es. Daniel zieht es als seinen Sohn auf. Mit dem Lösegeld als bequemem Polster lässt er sich mit dem Jungen nieder und richtet sich ein, wird jedoch dann ironischerweise ein recht erfolgreicher Künstler. Aber er kann von seinem Erfolg nicht durch Interviews und persönlichkeitsbezogenes Marketing profitieren, weil er weiß, dass er ein Krimineller auf der Flucht ist. Und er weiß, dass sein Sohn nicht Gabriel Porteous ist. Er ist Adam Maclennan Grant, ein junger Mann, der mit unverkennbaren
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