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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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mit mehr Kennerschaft aus, wurden beim Essen schwelgerischer und führten gewagtere Gespräche. Die Urlaubsorte waren nach und nach immer luxuriöser geworden. Liebhaber wurden zu der Frauenwoche nie eingeladen. Gelegentlich wurde die eine oder andere abtrünnig, es wurden Zeitdruck im Beruf oder familiäre Verpflichtungen angeführt. Aber meistens konnten alle ohne allzu große Anstrengung wieder zusammengetrommelt werden.
    Für Bel war dies ein wichtiger Teil ihres Lebens. Die Frauen waren alle erfolgreich und ebneten ihr als private Quellen von Zeit zu Zeit den Weg, darauf konnte sie sich verlassen. Aber das war nicht der hauptsächliche Grund, warum ihr diese Urlaube so wichtig waren. Partner waren gekommen und gegangen, aber diese Freundschaften hielten unerschütterlich. In einer Welt, in der man an seiner neuesten Schlagzeile gemessen wurde, war es ein gutes Gefühl, einen Rückzugsort zu haben, an dem all dies keine Rolle spielte. An dem sie geschätzt wurde, einfach weil die Gruppe mit ihr mehr Spaß hatte als ohne sie. Sie kannten sich alle schon so lange, dass sie sich ihre Fehler verziehen, eine andere politische Meinung akzeptierten und alles sagen konnten, worüber man in jeder anderen Gesellschaft niemals hätte sprechen können. Dieser Urlaub war ein Teil der Festung, die Bel beständig gegen ihre eigene Unsicherheit errichtete. Außerdem war es dieser Tage der einzige Freiraum, in dem sie tun konnte, was sie wollte. In den letzten sechs Jahren war sie an ihre verwitwete Schwester Vivianne und deren Sohn Harry gebunden gewesen. Als Viviannes Mann ganz plötzlich an einem Herzinfarkt starb, war sie emotional in großer Not und auch in praktischen Schwierigkeiten. Bel hatte kaum gezögert, ihr Schicksal mit dem ihrer Schwester und ihres Neffen zu verknüpfen. Alles in allem war es eine gute Entscheidung gewesen, aber trotzdem genoss sie diese jährliche Pause ohne Arbeit und ohne das Familienleben, das sie gar nicht erwartet hatte. Besonders jetzt, da auf Harry bald die existenziellen Ängste eines Teenagers zukamen. Also sollte der Urlaub dieses Jahr noch mehr als sonst etwas Besonderes sein und das bisher Erlebte übertreffen.
    Man konnte sich nur schwer vorstellen, wie sie dies noch steigern sollten, dachte sie, als sie zwischen den Bäumen hervorkam und sich einem Sonnenblumenfeld zuwandte, das gerade zu erblühen begann. Sie joggte ein bisschen schneller am Rand entlang, und ihre Nase zuckte beim aromatischen Duft der Blätter. An der Villa würde sie nichts ändern, es gab nichts auszusetzen an den schlichten Gartenanlagen und den Obstbäumen, die die Loggia und das Schwimmbecken umgaben. Die Sicht über das Val d’Elsa war atemberaubend, in der Ferne sah man die Umrisse von Volterra und San Gimignano.
    Und dann hatte man noch den zusätzlichen Vorteil von Grazias Kochkünsten. Als sie entdeckt hatten, dass der einheimische »Koch«, der auf der Website gepriesen wurde, die Frau des Schweinebauern weiter unten am Hügel war, wussten sie nicht recht, ob sie von der Möglichkeit Gebrauch machen sollten, sie in die Villa kommen und ein typisch toskanisches Mahl kochen zu lassen. Aber am dritten Nachmittag waren sie alle zu benommen von der Hitze, um sich mit der Essenszubereitung abzugeben, und hatten Grazia gerufen. Ihr Mann Maurizio hatte sie in einem klapprigen Fiat Panda, den nur noch Bindfaden und Glaubensstärke zusammenzuhalten schienen, zur Villa gebracht. Er hatte auch Kisten mit Lebensmitteln ausgeladen, die mit Baumwolltüchern zugedeckt waren. In gebrochenem Englisch hatte Grazia sie aus der Küche gescheucht und ihnen gesagt, sie sollten sich bei einem Drink auf der Loggia entspannen.
    Das Essen war eine Offenbarung gewesen – pikante Salami und Schinken von Cinta-di-Siena-Schweinen, einer seltenen, von Maurizio gezüchteten Rasse, mit duftenden schwarzen Feigen von ihrem eigenen Baum, Spaghetti mit Pesto aus Estragon und Basilikum, gebratene Wachteln mit Maurizios Gemüse und lange Kartoffelstäbchen, gewürzt mit Rosmarin und Knoblauch. Verschiedene Käsesorten von den Bauernhöfen der Umgebung und schließlich ein köstlicher, üppiger Kuchen mit Zitronenlikör und Mandeln.
    Danach kochten die Frauen nie wieder eine Mahlzeit.
    Dass Grazia das Essen zubereitete, machte Bels morgendliche Läufe umso notwendiger. Jetzt, da sie auf die vierzig zuging, musste sie sich mehr anstrengen, das Gewicht zu halten, das sie als ihr Kampfgewicht ansah. Heute Morgen fühlte sich ihr Magen nach den

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