Nacht unter Tag
Fälscher gewesen sein, dieser Daniel Porteous, dass er alle erforderlichen Dokumente beibringen konnte, um den Standesbeamten zu überzeugen. Und er war auch dreist genug, es durchzuziehen.
Das war alles sehr interessant, aber was hatte Bel überzeugt, dass Gabriel Porteous Adam Maclennan Grant war? Und als logische Folgerung, dass Daniel Porteous sein leiblicher Vater war? Und wenn man diesen Weg weiterverfolgte, dass Daniel Porteous und Matthias die Kidnapper waren? Nach so vielen Jahren standen sie noch in Verbindung und hatten noch die Originalvorlage für den Siebdruck. Vom Poster ausgehend, konnte man die Verbindung herstellen, aber sie beruhte nur auf Indizien.
Da Karen wusste, dass Bel jeden Moment zurück sein würde, blätterte sie die Seiten hastig durch, überflog den Text nur, um irgendeinen Sinnzusammenhang zu entdecken, war aber auf etwas aus, das die Hypothese durch konkrete Fakten stützen konnte. Auf den letzten Seiten waren Fotos, die bei der Party aufgenommen worden waren, und auch vergrößerte Ausschnitte mit Bildunterschriften.
Ihr Magen überschlug sich fast, und ihr Verstand wollte das, was sie sah, zuerst nicht akzeptieren. Ja, es stimmte, dass Gabriel, der Junge, eine auffallende Ähnlichkeit sowohl mit Brodie als auch Cat Grant hatte. Aber das war es nicht, was Karen in Aufregung versetzte. Sie starrte das Bild von Daniel Porteous an, und ihr wurde fast übel. Guter Gott, wie war das zu verstehen? Und dann ging ihr plötzlich ein Licht auf, und es wurde ihr klar, dass diese Erkenntnis alles auf den Kopf stellte.
Daniel Porteous hatte die Geburt seines Sohnes drei Monate vor der Entführung beurkunden lassen. Er hatte eine falsche Identität mindestens drei Monate vor der Zeit angenommen, als er sie für seine Flucht nutzen wollte. Na gut. Es zeigte, dass er vorausdachte. Aber er hatte auch das Recht erworben, seinen Sohn mitzunehmen. »Das tut man nicht, wenn man plant, Lösegeld zu verlangen«, flüsterte sie.
Karen steckte Bels Papiere in die Strohtasche zurück und ging auf die Tür zu. Das war verrückt. Sie musste mit jemandem sprechen, der ihr helfen konnte, daraus schlau zu werden. Wo zum Teufel war Phil, wenn sie ihn brauchte?
Als sie aus dem Verhörbüro hinausstürzte, stieß sie fast mit dem Minzdrops zusammen. Erschrocken wich er ihr aus. »Ich habe Sie gesucht«, stammelte er.
Das beruht jedenfalls nicht auf Gegenseitigkeit
. »Ich kann jetzt nicht«, entgegnete sie und stürmte an ihm vorbei.
»Ich habe hier etwas für Sie«, rief er betrübt.
Karen wirbelte herum, schnappte sich das Blatt Papier und fing an zu laufen. Sie hatte ein Gefühl, als flitzte eine ganze Armee von Boten in ihrem Kopf umher, jeder mit einem Puzzlestück in Händen. Im Moment passte noch keines der Teile zu einem anderen. Aber sie hatte den cleveren Verdacht, dass alle in dem Moment aus den Latschen kippen würden, wenn alles tatsächlich zusammenpasste.
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Rotheswell Castle
N achdem Bel zu ihrer Befragung durch Karen Pirie weggefahren war, hatte die Schicht gewechselt, und der Wachmann am Tor musste für ihre Rückkehr im Taxi die Genehmigung vom Schloss einholen. Das machte jede Hoffnung zunichte, sich heimlich hineinzuschleichen. Als sie den Taxifahrer bezahlte, öffnete sich die Eingangstür, und Grant erschien mit grimmiger Miene. Bel tat, als sei sie ganz vergnügt, und ging auf ihn zu.
Keine Nettigkeiten heute. »Was haben Sie ihr erzählt?«, fragte er.
»Nichts«, antwortete Bel. »Eine gute Journalistin schützt ihre Quellen und das, was sie erfahren hat. Ich habe ihr nichts gesagt.« Im wörtlichen Sinn stimmte das. Sie hatte Karen Pirie nichts mitgeteilt. Sie hatte ihr nichts mitzuteilen brauchen. Die Beamtin war aus dem Gebäude geflitzt und hatte nur innegehalten, um Bel zu sagen, sie könne jetzt gehen.
»In einem anderen Fall, an dem ich arbeite, ist gerade etwas geschehen, ich muss nach Edinburgh fahren. Ich melde mich. Sie können nach Rotheswell zurück, sobald Sie möchten«, hatte Karen erklärt. Dann zwinkerte sie Bel zu. »Und Sie können Brodie schwören, dass Sie nichts verraten haben.«
Bel fühlte sich sicher in dem Wissen, dass sie nicht wirklich log. Also betrat sie das Haus und ließ ihm keine andere Wahl, als sie aufzuhalten oder ihr zu folgen.
»Sie behaupten also, dass Sie ihr nichts gesagt haben, und sie hat Sie einfach gehen lassen?« Er musste größere Schritte machen, um mit ihr mithalten zu können, als sie den Flur entlang zur Treppe
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