Nacht unter Tag
wiedererkennen? Jetzt, da Sie einem Mann wie Sir Broderick Maclennan Grant gehorchen? Einem Mann, der den Inbegriff des kapitalistischen Systems darstellt? Einem Mann, der jeden Versuch seiner Tochter, ihr Recht auf Selbstbestimmung durchzusetzen, so sehr unterdrückte, dass sie sich schließlich selbst gefährdete? Ist es so weit mit Ihnen gekommen?«
Bel nahm ihre Zigarette und tippte abwechselnd mit dem einen und dann dem anderen Ende auf den Tisch. »Manchmal muss man einen Platz im Zelt des Feindes einnehmen, um herauszufinden, wie er tatsächlich ist. Gerade Sie sollten dafür Verständnis haben. Polizisten setzen doch oft verdeckte Ermittler ein, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, an etwas heranzukommen. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Interviews Brodie Grant der Presse in den letzten zwanzig Jahren gegeben hat?«
»Ins Blaue hinein geraten, würde ich sagen … gar keins?«
»Richtig. Als ich ein Beweisstück fand, mit dem vielleicht Licht in diesen ungelösten Fall gebracht werden kann, vermutete ich, dass es viel Interesse an Grant geben würde. Verlagsinteresse. Aber nur wenn jemand persönlich mit Grant Zeit verbringen und sehen könnte, wie er tatsächlich tickt.« Sie zog einen Mundwinkel zu einem leicht zynischen Lächeln hoch. »Und ich dachte, das könnte doch durchaus ich sein.«
»Na schön. Ich werde nicht hier sitzen und Ihre Rechtfertigung zerpflücken. Aber wieso berechtigt Sie Ihr Bestreben, der Welt das ultimative Buch über diese unglückliche Familie zu präsentieren, sich über das Gesetz zu stellen?«
»So sehe ich das nicht.«
»Natürlich sehen Sie es nicht so. Sie wollen sich als die Person sehen, die im Namen von Cat Grant handelt. Die Person, die ihren Sohn nach Haus zurückbringen wird, tot oder lebendig. Die Heldin. Sie können es sich nicht leisten, sich im Licht der Wirklichkeit zu sehen. Denn dieses Licht stellt Sie bloß als die Person, die all diesen Dingen im Weg steht. Begreifen Sie doch, Bel, Sie haben nicht die Mittel, um dies zu Ende zu bringen. Ich weiß nicht, was Brodie Grant Ihnen versprochen hat, aber es wird kaum etwas Unverfängliches sein. Auf keinen Fall.« Karen spürte, wie ihr Zorn wuchs und dass sie bald explodieren würde. Sie schob ihren Stuhl zurück, um etwas mehr Entfernung zwischen sie zu bringen.
»Die italienische Polizei kümmert es nicht, was mit Cat Grant geschah«, entgegnete Bel.
»Sie haben recht. Und warum sollte es auch?« Karen spürte, wie sie errötete. »Aber die Person, deren Blut auf den Küchenboden der Villa Totti geflossen ist, ist ihnen nicht gleichgültig. Es ist so viel Blut, dass diese Person mit ziemlicher Sicherheit tot ist. Das ist ihnen wichtig, und sie tun alles, was sie können, um herauszufinden, was dort geschehen ist. Und dabei werden Informationen anfallen, die uns helfen können. So gehen wir vor. Wir beschäftigen keine Privatdetektive, die ihre Berichte darauf zuschneiden, was der Kunde hören will. Wir konstruieren uns kein eigenes Rechtssystem, das unseren Interessen dient. Lassen Sie mich eine Frage stellen, Bel. Nur unter uns.« Karen wandte sich an den uniformierten Constable, der immer noch an der Tür stand. »Könnten Sie uns einen Moment allein lassen?«
Sie wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Nach schottischem Recht darf ich das nicht verwenden, was Sie mir jetzt sagen. Ich habe keine Bestätigung durch eine zweite Person, verstehen Sie. Hier ist also meine Frage. Und ich möchte, dass Sie sehr sorgfältig darüber nachdenken. Sie brauchen mir keine Antwort zu geben. Ich möchte nur sicher sein, dass Sie sich ehrlich und aufrichtig Gedanken darüber machen: Wenn Sie die Entführer finden würden, was, glauben Sie, würde Brodie Grant mit dieser Information anfangen?«
Die Muskeln um Bels Mund spannten sich an. »Ich finde, das ist eine niederträchtige Unterstellung.«
»Ich unterstelle nichts. Sie selbst haben diese Schlussfolgerung gezogen.« Karen stand auf. »Ich bin kein dummes Huhn, Bel. Behandeln Sie mich nicht, als wär ich eins.« Sie öffnete die Tür. »Sie können jetzt wieder hereinkommen.«
Der Constable nahm wieder seinen Platz an der Tür ein, und Karen kehrte zu ihrem Stuhl zurück. »Sie sollten sich schämen«, schalt sie. »Für wen haltet ihr Leute euch eigentlich mit eurem privaten Recht? Haben Sie sich mit Ihrer Arbeit dafür eingesetzt? Ein Gesetz für die Reichen und Mächtigen, die uns allen eine lange Nase drehen können?«
Das hat gesessen.
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