Nacht unter Tag
Es war nicht schwer, hinzukommen, nur zwei Meilen durch den Wald, aber ich war nicht sicher, ob sie es wirklich ernst gemeint oder mich nur aus Höflichkeit eingeladen hatte. Das zeigt nur, wie wenig ich sie damals kannte! Catriona sagte nie etwas, das sie nicht ernst meinte. Und ebenso hielt sie nicht damit hinter dem Berg, wenn sie etwas zu sagen hatte.
Eines Tages, als es regnete und ich nicht malen konnte, ging ich also zu ihr. Ihr Häuschen war ein altes Pförtnerhaus des Wemyss Estate. Es war nicht größer als das Haus, in dem ich mit meiner Frau und dem Kind wohnte, aber sie hatte es in lebhaften Farben gestrichen, die die Räume groß und hell aussehen ließen, selbst wenn es draußen trübe und grau war. Das Beste aber waren die Galerie und das Studio davor.
Darin stand ein großer Glasbrennofen, es gab viel Platz zum Arbeiten, und am anderen Ende waren Regale zum Ausstellen der Objekte, damit Kunden sich alles ansehen und auch kaufen konnten. Ihre Arbeiten waren sehr schön. Glatte, gerundete Linien. Sehr sinnliche Formen. Und phantastische Farben. Ich hatte noch nie solche Dinge aus Glas gesehen, und selbst hier in Italien wäre es schwierig, solche satten, intensiven Farben zu finden. Es schien, als glühe das Glas in verschiedenen Farbtönen. Man hatte Lust, die Dinge in der Hand zu halten. Ich wünschte, ich hätte ein Stück von ihr, aber ich dachte nie, dass ich etwas von ihr brauchen würde, bis es zu spät war. Vielleicht wirst du eines Tages etwas aufspüren können, das sie gestaltet hat, und dann wirst du die Kraft ihrer Arbeiten verstehen.
Es war ein guter Nachmittag. Sie kochte Kaffee, richtigen Kaffee, wie man in Schottland damals kaum welchen fand. Ich musste extra viel Zucker dazugeben, weil er zuerst so komisch schmeckte. Und wir redeten. Ich konnte es kaum fassen, wie wir uns unterhielten. Über Gott und die Welt, so kam es mir jedenfalls vor. Vom ersten Wort an, das sie im Wald gesagt hatte, war offensichtlich, dass sie einer anderen Klasse angehörte als ich, aber an jenem Nachmittag schien das kaum etwas auszumachen.
Wir beschlossen, uns ein paar Tage später wieder im Studio zu treffen. Ich glaube, wir dachten beide nicht daran, dass wir damit ein Risiko eingingen. Aber wir spielten mit dem Feuer. Wir hatten beide niemanden in unserem Leben, mit dem wir so reden konnten wie miteinander. Wir waren jung – ich war achtundzwanzig und sie vierundzwanzig, aber damals waren wir noch viel unschuldiger als du und deine Freunde im gleichen Alter heute. Und als wir uns kennenlernten, hatte es vom ersten Moment an zwischen uns gefunkt.
Ich weiß, du willst sicher nichts davon hören, wie verliebt deine Mutter und dein Vater waren, und was da alles dazu-gehört. Deshalb will ich dich nicht mit Einzelheiten plagen. Ich sage nur, wir wurden bald ein Paar, und ich glaube, es war für uns beide, als kämen wir nach einem Leben unter elektrischer Beleuchtung plötzlich ins helle Sonnenlicht hinaus. Wir waren verrückt nacheinander.
Und es war natürlich eine unmögliche Sache. Ich erfuhr bald genug die Wahrheit über deine Mutter. Sie war nicht einfach ein nettes Mädchen aus der Mittelklasse, sondern sage und schreibe Catriona Grant, die Tochter eines Mannes mit Namen Sir Broderick Maclennan Grant. Jeder in Schottland kennt diesen Namen, wie jeder in Italien Silvio Berlusconi kennt. Grant ist Bauunternehmer. Überall, wo man in Schottland hinkommt, sieht man den Namen seiner Firma an Kränen und Infotafeln auf Baustellen. Außerdem gehören ihm viele andere Sachen wie Radiosender, ein Fußballclub, eine Whiskydestillerie, eine Spedition und eine Kette von Freizeitzentren. Obendrein ist er ein Tyrann und hatte versucht, Catriona daran zu hindern, Künstlerin zu werden. Alles, was sie tat, tat sie im Widerstand gegen ihn. Er hätte niemals eine Beziehung zu einem so gewöhnlichen Mann wie einem Bergarbeiter geduldet. Und schon gar nicht zu einem Berg-arbeiter, der mit einer anderen Frau verheiratet war.
Und ja, ich war mit einer anderen Frau verheiratet. Ich versuche nicht, mich herauszureden. Ich wollte kein Schuft sein, der seine Frau betrog, aber Catriona hat mich einfach umgehauen. Ich habe für niemanden davor oder danach jemals solche Gefühle gehabt. Du hast vielleicht bemerkt, dass ich mich nicht sehr für Beziehungen interessierte. Der Grund ist, dass keine es mit Catriona aufnehmen konnte. Ich glaube, niemand konnte wie sie Gefühle in mir wecken.
Und dann wurde sie schwanger mit
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