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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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oft angelogen habe, ist eine Sache die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit – nämlich, dass ich dein Vater bin und dich mehr liebe als sonst irgendeine Menschenseele. Erinnere dich daran, wenn du dir wünschst, ich wäre noch am Leben, damit du dich an mir rächen kannst.
    Es ist schwer, zu entscheiden, wo ich mit dieser Geschichte anfangen soll. Aber es muss sein. Mein Name ist nicht Daniel Porteous, und ich bin nicht aus Glasgow. Mein Vorname ist Michael, aber alle nannten mich Mick. Mick Prentice, der war ich früher. Ich war Bergmann, geboren und aufgewachsen in Newton of Wemyss in Fife. Ich hatte eine Frau und eine Tochter, Misha. Sie war vier, als du zur Welt kamst. Aber ich greife vor, denn ihr habt unterschiedliche Mütter, und das muss ich erklären.
    Das Einzige, das ich außer Kohleabbau wirklich konnte, war malen. Im Kunstunterricht in der Schule war ich gut, aber jemand wie ich konnte damit nichts anfangen. Es war klar, dass ich beim Bergbau landen würde, und das war’s. Dann gab es beim Wohlfahrtsverband einen Malkurs für Bergleute, und ich bekam die Chance, etwas von einer richtigen Malerin zu lernen. Es zeigte sich, dass ich Geschick fürs Aquarellieren hatte. Den Leuten gefiel das, was ich malte, und ich konnte hin und wieder meine Bilder für zwei Pfund verkaufen.
    Zumindest vor dem Bergarbeiterstreik von 1984, als die Leute noch Geld für unnötigen Luxus hatten.
    Eines Nachmittags im September 1983 kam ich von der Frühschicht, und das Licht war unglaublich, also ging ich mit meinen Malsachen auf die Klippen jenseits des Dorfes.
    Ich malte eine Ansicht des Meeres durch das Geäst der Bäume. Das Wasser leuchtete so intensiv, ich kann mich noch erinnern, dass es fast zu schön war, um wahr zu sein.
    Jedenfalls war ich völlig ins Malen vertieft und achtete auf sonst nichts. Plötzlich sagte eine Stimme: »Sie sind wirklich gut.«
    Und es gefiel mir gleich, dass sie nicht überrascht klang.
    Ich war daran gewöhnt, wie erstaunt die Leute waren, dass ein Bergmann eine schöne Landschaft malen konnte.
    Als wäre ich ein Affe oder so was, der Kunststückchen machte. Aber bei ihr war das nicht so. Bei Catriona. Vom ersten Moment an sprach sie mit mir, als sei ich ihr ebenbürtig.
    Allerdings machte ich mir fast in die Hose vor Schreck. Ich hatte gedacht, ich sei allein, und plötzlich steht jemand neben mir und spricht mich an. Sie sah, wie durcheinander ich war, und lachte und sagte, es täte ihr leid, dass sie mich gestört hätte. Inzwischen hatte ich bemerkt, dass sie verdammt gut aussah. Ihr Haar war so schwarz wie Rabengefieder, sie hatte vollkommene Gesichtszüge, als seien sie mit einem Meißel herausgearbeitet. Die Augen lagen so tief, dass man ganz nah kommen musste, um die Farbe (indigoblau, übrigens) erkennen zu können. Und ein strahlendes Lächeln, das die Sonne verblassen ließ. Manchmal siehst du ihr dermaßen ähnlich! Das geht mir so zu Herzen, dass ich am liebsten losheulen möchte wie ein Kind.
    Da bin ich also im Wald, stehe diesem erstaunlichen Geschöpf gegenüber und bringe kein Wort heraus. Sie streckte die Hand aus und stellte sich vor: »Ich bin Cat Grant.« Ich erstickte fast, als ich mich räusperte, damit ich ihr meinen Namen nennen konnte. Sie sagte, sie sei auch Künstlerin und modelliere Glas. Da war ich noch erstaunter. Die einzige andere Künstlerin, die ich je getroffen hatte, war die Frau, bei der ich den Malunterricht genommen hatte, und sie war nicht gerade umwerfend. Aber ich wusste gleich, dass Catriona dieser Bezeichnung gerecht werden würde. Sie strahlte ein Selbst-bewusstsein aus, so etwas hat man nur, wenn man wirklich begabt ist. Aber ich greife schon wieder vor.
    Jedenfalls unterhielten wir uns über die Dinge, für die wir uns interessierten und an denen wir gerne arbeiten würden, und verstanden uns auf Anhieb.
    Ich war so dankbar, dass ich jemanden hatte, mit dem ich über Kunst sprechen konnte.
    Ich hatte nicht so viele Kunstwerke im Original gesehen, nur das, was es in der Kunstgalerie in Kirkcaldy gab. Aber es zeigte sich, dass dort einige ganz gute Sachen ausgestellt waren, was mir in der frühen Zeit damals etwas half.
    Catriona erzählte, sie hätte ein Studio und ein Häuschen an der Hauptstraße und ich solle doch einmal vorbeikommen und es mir ansehen. Dann ging sie weiter, und ich hatte das Gefühl, dem Tag sei alles Licht genommen worden.
    Ich brauchte zwei Wochen, bis ich es wagte, sie in ihrem Studio zu besuchen.

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