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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Abendessen kochen würde.« Jenny setzte sich plötzlich auf einen der Küchenstühle. Sie sah zu ihm auf. »Werden wir das je hinter uns bringen?«
    »Wir müssen nur noch ein bisschen länger durchhalten. Wir sind schon weit gekommen. Wir können gewinnen.« Er klang, als versuche er, sich selbst genauso zu überzeugen wie sie.
    »Sie gehen zur Arbeit zurück, Mick. Sie gehen wieder hin. Es war neulich abends in den Nachrichten. Mehr als ein Viertel der Zechen arbeitet schon wieder. Was immer Arthur Scargill und die anderen Gewerkschaftsfunktionäre auch sagen, es ist unmöglich, dass wir gewinnen. Die Frage ist nur, wie schlimm dieses Miststück Thatcher uns dafür büßen lässt.«
    Er schüttelte heftig den Kopf. »Sag das nicht, Jenny. Nur weil es da unten im Süden ein paar Orte gibt, wo sie aufgegeben haben. Hier oben sind wir hart wie Granit. Und in Yorkshire auch. Und Südwales. Und wir sind es, die wichtig sind.« Seine Worte klangen hohl, und er sah nicht sehr enthusiastisch aus. Sie waren alle längst geschlagen, dachte sie. Sie wussten nur nicht, wann es Zeit war, loszulassen.
    »Wenn du meinst«, murmelte sie und wandte sich ab. Sie wartete, bis sie hörte, wie die Tür sich hinter ihm schloss, stand dann langsam auf, zog ihren Mantel an, nahm einen dicken Plastiksack und ging aus der eiskalten Küche in den feuchtkalten Morgen hinaus. Das war dieser Tage ihr täglicher Rhythmus. Aufstehen und Misha zur Schule bringen. Am Schultor bekam das Kind einen Apfel oder eine Orange, ein Tütchen mit Chips und einen Schokoladenkeks von den Freunden von Lady Charlotte, einer buntgemischten Gruppe von Studenten und Angestellten des öffentlichen Dienstes aus Kirkcaldy, die dafür sorgten, dass die Kinder den Tag nicht mit leerem Magen beginnen mussten. Zumindest an Schultagen.
    Dann kehrte sie wieder nach Haus zurück. Sie tranken den Tee nicht mehr mit Milch, wenn sie Tee bekommen konnten. An manchen Tagen war eine Tasse heißes Wasser alles, was Jenny und Mick zum Tagesbeginn zu sich nahmen. Es geschah nicht oft, aber einmal genügte, um einen daran zu erinnern, wie leicht man weg vom Fenster sein konnte.
    Nach einem heißen Getränk ging Jenny mit ihrem Sack in den Wald und versuchte, genug Feuerholz zu sammeln, damit sie es abends ein paar Stunden warm hatten. Wenn die Gewerkschaftsfunktionäre sie »Kameradin« nannten und sie Holz zusammenklaubte, fühlte sie sich wie eine sibirische Bäuerin. Wenigstens hatten sie Glück, nahe bei der Brennstoffquelle zu wohnen. Für andere war es viel schwerer, das wusste sie. Es war ein Glücksfall für sie, dass sie ihren offenen Kamin behalten hatten. Billige Kohle als Vergünstigung für die Bergleute hatte dafür gesorgt.
    Sie ging mechanisch an die Arbeit, achtete kaum auf ihre Umgebung und grübelte über die letzte Kabbelei zwischen ihr und Mick nach. Manchmal schien es, als hielten nur die Not und das Bedürfnis nach Wärme sie im gleichen Bett zusammen. Der Streik hatte manche Paare einander nähergebracht, aber viele waren nach den ersten Monaten, als ihre Reserven aufgebraucht waren, wie ein Holzscheit unter der Axt zersplittert.
    Am Anfang war es nicht so schlimm gewesen. Seit der letzten Streikwelle der siebziger Jahre hatten die Bergleute gut verdient. Sie waren die Könige der Gewerkschaftsbewegung, gut bezahlt, gut organisiert und selbstbewusst. Schließlich hatten sie damals Ted Heaths Regierung zu Fall gebracht. Niemand konnte ihnen etwas anhaben. Und sie hatten das Geld, um dies zu beweisen.
    Manche gaben das Geld hemmungslos aus. Machten Urlaub im Ausland, wo sie ihre milchweiße Haut und die Blessuren von Unfällen unter Tage der Sonne aussetzen konnten, fuhren protzige Autos mit teuren Stereoanlagen, hatten neue Häuser, die beim Einzug ganz toll, aber sehr bald abgenutzt aussahen. Aber die meisten hatten etwas beiseitegelegt, da sie durch die Vergangenheit vorsichtig geworden waren. Genug, um die Miete oder die Hypothek, Lebensmittel für die Familie und den Strom für zwei Monate zu bezahlen. Aber es war erschreckend, wie schnell diese geringen Rücklagen aufgezehrt waren. Am Anfang hatte die Gewerkschaft die Männer anständig bezahlt, die in geschlossenen Lkws und Minibussen mitfuhren und sich den Streikposten anschlossen, um in den Zechen, in denen noch gearbeitet wurde, in Kraftwerken und Verkokungsfabriken für die Streikidee zu werben. Aber die Polizei war immer rigoroser vorgegangen, um zu verhindern, dass die ›flying pickets‹, die

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