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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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der Höhlen gegründet wurde. Jetzt waren die tieferen und gefährlicheren Abschnitte des Höhlennetzwerks abgesperrt, und Amateurhistoriker und Archäologen hatten sie als Spielplatz für Erwachsene geschützt. »Mick hatte mit den Höhlen zu tun?«
    »Mick hatte mit allem etwas zu tun. Er spielte Fußball, er malte seine Bilder, er hat sich mit den Höhlen beschäftigt, er steckte bis über die Ohren in der Gewerkschaft. Alles andere war wichtiger, als Zeit mit seiner Familie zu verbringen.« Jenny schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust. »Er sagte, dass es ihm während des Streiks half, nicht verrückt zu werden. Ich glaube, es hat ihm nur geholfen, sich vor seiner Verantwortung zu drücken.«
    Karen wusste, dass dies ein ergiebiges Thema für ihre Ermittlungen war, aber sie konnte es sich leisten, es für später aufzuheben. Jennys unterdrückte Wut hatte über zweiundzwanzig Jahre angehalten. Sie würde nicht verfliegen. Es gab etwas viel Näherliegendes, das sie interessierte. »Wo hatte Mick denn während des Streiks das Geld für die Farben her? Ich kenne mich nicht gut mit dem Malen aus, aber richtiges Papier und Farben kosten doch einiges.« Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Bergmann Geld für Malutensilien ausgab, wenn nicht einmal etwas für Lebensmittel oder zum Heizen da war.
    »Ich will niemanden in Schwierigkeiten bringen«, wich Jenny aus.
    Ach, tatsächlich
. »Es war vor dreiundzwanzig Jahren«, erwiderte Karen geradeheraus. »Irgendwelche nebensächlichen Schmuggeleien aus der Zeit des Bergwerkstreiks interessieren mich wirklich nicht.«
    »Einer der Zeichenlehrer von der Highschool wohnte oben in Coaltown. Er war ein kleiner verkrüppelter Kerl. Sein eines Bein war kürzer als das andere, und er hatte einen Buckel. Mick hat ihm den Garten gemacht. Der Kerl bezahlte ihn mit Farben.« Sie lachte leise. »Ich fragte, ob er ihn nicht mit Geld oder Lebensmitteln entlohnen könnte. Aber offenbar gab der Mensch sein ganzes Gehalt seiner Exfrau. Die Farben konnte er in der Schule klauen.« Sie verschränkte wieder die Arme. »Er ist sowieso schon tot.«
    Karen versuchte, ihre Abneigung gegen diese Frau zu unterdrücken. Sie war so ganz anders als ihre Tochter, die sie verleitet hatte, sich auf diesen Fall einzulassen. »Wie war es denn zwischen Ihnen beiden, bevor Mick verschwand?«
    »Der Streik war schuld. Na gut, wir hatten unsere Höhen und Tiefen. Aber es war der Streik, der einen Keil zwischen uns getrieben hat. Und ich bin nicht die einzige Frau in dieser Gegend, die das sagen könnte.«
    Karen wusste, wie zutreffend das war. Die schrecklichen Entbehrungen des Streiks hatten fast alle Paare gezeichnet, die sie damals gekannt hatte. Häusliche Gewalt war ausgebrochen, wo man sie wirklich nicht erwartet hatte; die Selbstmordrate war angestiegen; Ehen waren angesichts der unerbittlichen Armut zerbrochen. Damals hatte sie es nicht verstanden, aber jetzt begriff sie es durchaus. »Vielleicht. Aber jeder hat seine eigene Geschichte. Ich würde gern Ihre hören.«

[home]
Freitag, 14. Dezember 1984,
Newton of Wemyss
    I ch bin zum Abendessen wieder da«, sagte Mick Prentice, hängte sich die große Segeltuchtasche um und griff nach dem dünnen Bündel, in dem seine zusammengefaltete Staffelei steckte.
    »Abendessen? Was für ein Abendessen? Wir haben nichts zu essen im Haus. Du solltest da draußen sein und für deine Familie etwas zu beißen besorgen, nicht herumbummeln und zum x-ten Mal das verflixte Meer malen«, schrie Jenny und versuchte, ihn zum Stehenbleiben zu zwingen, als er aus der Tür gehen wollte.
    Er wandte sich um, sein hageres Gesicht verzog sich vor Scham und Schmerz. »Meinst du, ich weiß das nicht? Meinst du, wir sind die Einzigen? Meinst du, wenn ich eine Ahnung hätte, wie man etwas verbessern könnte, würde ich es nicht tun? Niemand hat etwas zu essen, verdammt noch mal. Niemand hat Geld.« Seine Stimme wurde von einem Schluchzen erstickt. Er schloss die Augen und holte tief Luft. »Beim Wohlfahrtsverband unten hat Sam Thomson gestern Abend gesagt, es sei die Rede von einer Lebensmittellieferung von den ›Frauen gegen die Zechenschließungen‹. Wenn du da runtergehen würdest … sie sollen gegen zwei da sein.« Es war so kalt in der Küche, dass sich bei seinen Worten eine Dampfwolke vor seinem Mund bildete.
    »Wieder Almosen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zum letzten Mal selbst entscheiden konnte, was ich zum

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