Nacht unter Tag
Fernsehnachrichten gemacht?«
»Ich bin zur Wohlfahrt runtergegangen. Mick hatte etwas davon gesagt, dass da Lebensmittel ausgegeben werden sollten. Ich stellte mich an und kam mit einem Päckchen Nudeln, einer Dose Tomaten und zwei Zwiebeln nach Haus. Und einem Suppenwürfel für schottischen Eintopf. Ich weiß noch, dass ich mich ziemlich gut fühlte. Ich holte Misha von der Schule ab und dachte, es würde uns aufheitern, den Weihnachtsschmuck aufzuhängen, und das haben wir dann gemacht.«
»Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Mick noch nicht heimgekommen war?«
Jenny hielt inne, eine Hand fummelte an einem Knopf an ihrer Kittelschürze herum. »Zu der Jahreszeit wird es früh dunkel. Gewöhnlich kam er nicht lange nach mir und Misha nach Hause. Aber weil wir den Weihnachtsschmuck aufgehängt haben, fiel mir nicht auf, wie die Zeit verging.«
Sie log, dachte Karen. Aber warum? Und in welcher Hinsicht?
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Freitag, 14. Dezember 1984,
Newton of Wemyss
I n der Schlange beim Wohlfahrtsverband für die Bergleute war Jenny eine der Ersten gewesen, eilte mit ihrer erbärmlichen Ausbeute nach Haus und war entschlossen, einen Topf Suppe zu kochen, damit zum Abendessen etwas Gutes auf dem Tisch stand. Sie ging um die Waschräume des Zechenhauses herum und bemerkte, dass in allen Nachbarhäusern schon Dunkelheit herrschte. Damals ließ niemand ein einladendes Licht an, wenn er wegging. Jeder Penny zählte, wenn die Stromrechnung kam.
Als sie in ihr Tor einbog, fuhr sie vor Schreck zusammen. Ein Schatten richtete sich aus der Dunkelheit auf und erschien ihr riesengroß. Ihr entfuhr ein Geräusch zwischen Luftschnappen und Stöhnen.
»Jenny, Jenny, nur ruhig. Ich bin’s doch. Tom. Tom Campbell. Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst einjagen.« Die Gestalt nahm Form an, und sie erkannte den großen Mann, der vor ihrer Haustür stand.
»Mein Gott, Tom. Du hast mich ganz schön erschreckt«, klagte sie, schritt an ihm vorbei und öffnete die Haustür. Sie spürte die strenge Kälte im Haus und ging in die Küche voraus. Ohne zu zögern, füllte sie ihren Suppentopf mit Wasser und stellte ihn auf den Herd, wo die Gasflamme ein klein bisschen Wärme ausstrahlte.
Dann blickte sie ihn im düsteren Nachmittagslicht an. »Wie geht es dir?«
Tom Campbell zuckte mit den breiten Schultern und lächelte halbherzig. »Es geht auf und ab«, antwortete er. »Das ist wirklich Pech. Das einzige Mal im Leben, da ich meine Freunde wirklich brauchen würde, und dann kommt dieser Streik.«
»Wenigstens hast du mich und Mick«, erwiderte Jenny und zeigte auf einen Stuhl.
»Na ja, ich habe dich, jedenfalls. Ich glaube nicht, dass ich auf Micks Liste für die Weihnachtspost stehen würde, wenn dieses Jahr überhaupt jemand auf die Idee käme, Weihnachtskarten zu verschicken. Auf jeden Fall nicht nach dem Oktober. Seitdem hat er nicht mehr mit mir gesprochen.«
»Er wird drüber wegkommen«, sagte sie ohne eine Spur von Überzeugung. Mick hatte immer Vorbehalte gegenüber der langjährigen Vertrautheit zwischen Jenny und Toms Frau Moira gehabt. Die Frauen waren schon ewig beste Freundinnen, und Moira war bei Jennys und Micks Hochzeit erste Brautjungfer gewesen. Als es so weit war, den Gefallen zu erwidern, war Jenny mit Misha schwanger. Mick hatte darauf hingewiesen, dass ihr zunehmender Leibesumfang eine perfekte Entschuldigung wäre, Moira die Bitte abzuschlagen, da man das Brautjungfernkleid ja im Voraus kaufen musste. Es war kein Vorschlag, eher eine Vorschrift. Denn obwohl Tom Campbell ohne Frage ein anständiger, gutaussehender und ehrlicher Mann war, war er eben doch kein Bergmann. Es stimmte zwar, dass er in der Lady Charlotte arbeitete. Er ging im Förderkorb, der den Magen flattern ließ, unter Tage. Manchmal machte er sich sogar die Hände schmutzig. Aber er war kein Bergmann. Er war Steiger. Mitglied einer anderen Gewerkschaft. Eine Aufsichtsperson, die dafür sorgen musste, dass die Gesundheits- und Sicherheitsregeln eingehalten wurden und die Männer das taten, was sie tun sollten. Die Bergleute hatten ein Wort für den leichtesten Teil jeder Aufgabe – »der Steigerjob«. Es klang ziemlich harmlos, aber in einer Umgebung, in der jedes Glied einer Gruppe wusste, dass sein Leben von seinen Kollegen abhing, drückte sich darin starke Verachtung aus. Und deshalb war Mick Prentice immer etwas zurückhaltend im Umgang mit Tom Campbell gewesen.
Er hatte sich über die Einladungen zum Abendessen in ihr Einfamilienhaus in
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