Nacht unter Tag
nichts sagen. Er wusste nicht, was er dachte, fühlte oder sagen wollte. Es war eine Erfahrung, die ihm so fremd und so unwahrscheinlich vorkam wie der Genuss von Drogen. Er hatte immer die Kontrolle über sich und seine nächste Umgebung gehabt. Machtlos zu sein war etwas, das schon so lange nicht mehr vorgekommen war, dass er vergessen hatte, wie man damit umging.
»Soll ich den Polizeipräsidenten anrufen?«, erkundigte sich Susan.
»Darin steht, wir sollen das nicht tun«, zögerte Mary. »Wir können für Catriona und Adam kein Risiko eingehen.«
»Zum Teufel damit«, widersprach Grant, aber nur in einer matten Version seiner normalen Stimme. »Ich lasse mich nicht von einem Haufen Anarchisten herumschubsen.« Er zwang sich, aufrecht zu stehen, besiegte mit purer Willenskraft die Angst, die ihn von innen heraus bereits auffraß. »Susan, rufen Sie den Polizeipräsidenten an. Erklären Sie die Situation. Sagen Sie ihm, ich will den besten Beamten, den er hat, der aber nicht wie ein Polizist aussieht. Ich will ihn in einer Stunde im Büro sehen. Und jetzt gehe ich ins Büro. Und arbeite wie sonst auch, falls sie uns wirklich beobachten.«
»Brodie, wie kannst du nur?« Mary sah bleich und angegriffen aus. »Wir müssen tun, was sie uns sagen.«
»Nein, das müssen wir nicht. Es muss nur so aussehen, als täten wir das.« Seine Stimme war jetzt fester. Dass er sich wenigstens auf den Beginn eines Plans festgelegt hatte, gab ihm die Kraft, sich zu fangen. Er konnte mit der Angst umgehen, wenn er sich vormachte, er tue etwas für die Lösung der Situation. »Susan, fangen Sie an, alles in Bewegung zu setzen.« Er ging zu Mary hinüber und tätschelte ihr die Schulter. »Es wird alles gut, Mary. Ich verspreche es dir.« Wenn er ihr nicht ins Gesicht blickte, musste er sich nicht mit ihrer Angst oder ihrem Schrecken auseinandersetzen. Er hatte genug Sorgen ohne diese zusätzliche Belastung.
[home]
Dysart, Fife
A ndere Männer wären vielleicht beim Warten auf die Polizei nervös auf und ab gegangen. Brodie Grant aber war nie jemand gewesen, der seine Energie mit sinnloser Bewegung verschwendete. Er saß auf seinem Bürostuhl, vom Schreibtisch weggedreht, so dass er die spektakuläre Aussicht über den Firth of Forth nach Berwick Law, Edinburgh und den Pentlands vor sich hatte. Er starrte über das mit Schaum besetzte graue Wasser hinaus und befahl seinen Gedanken, jede unnötige Zeitverschwendung zu vermeiden, sobald die Polizei da wäre. Er hasste Vergeudung in jeder Form, auch wenn es um etwas ging, das leicht ersetzt werden konnte.
Susan, die ihm zur gewohnten Zeit an ihren Arbeitsplatz gefolgt war, trat durch die Tür, die ihr Büro von seinem trennte. »Die Polizei ist hier«, sagte sie. »Soll ich sie hereinführen?«
Grant drehte sich auf seinem Stuhl um. »Ja. Und dann lassen Sie uns allein.« Er bemerkte die Überraschung auf ihrem Gesicht. Sie war daran gewöhnt, in alle seine Geheimnisse eingeweiht zu sein und mehr zu wissen, als Mary je wissen wollte. Aber diesmal sollte der Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich gehalten werden. Selbst Susan war eine Person zu viel.
Sie führte zwei Männer in den Arbeitsanzügen von Malern herein und schloss dann demonstrativ die Tür hinter sich. Grant war erfreut über den Trick. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Und so unauffällig«, stellte er fest und betrachtete die beiden. Sie sahen zu jung für eine so gewichtige Aufgabe aus. Der Ältere, hager und dunkel, war wahrscheinlich nicht weit über dreißig, der andere, mit hellem Haar und gerötetem Gesicht, Ende zwanzig.
Der Dunkelhaarige sprach zuerst. Zu Grants Überraschung griff er gleich bei der Vorstellung seine eigenen Vorbehalte auf. »Ich bin Detective Inspector James Lawson«, erklärte er. »Und das ist Detective Constable Rennie. Wir sind persönlich vom Polizeipräsidenten unterrichtet worden. Ich weiß, Sie denken wahrscheinlich, ich sei etwas zu jung, um eine solche Operation zu leiten, aber ich wurde gerade wegen meiner Erfahrung ausgewählt. Letztes Jahr wurde die Frau eines Spielers der East-Fife-Mannschaft entführt. Es gelang uns, die Sache zu lösen, ohne dass es Verletzte gab.«
»Ich erinnere mich nicht, etwas davon gehört zu haben«, erwiderte Grant.
»Wir haben es geschafft, dass nichts an die Öffentlichkeit drang«, antwortete Lawson, und ein stolzes Lächeln huschte kurz über sein Gesicht.
»Gab es keinen Prozess? Wie konnten Sie das aus den Zeitungen
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