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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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sich.
    Nadjeschka sah wieder nach vorn. Sie hörte den Meister noch rufen: »Und sagen Sie Hartmann Bescheid, dem Lagerführer! Er soll umgehend Ersatz beschaffen, falls die Gestapo jemanden mitnimmt. Wir sind unserem Soll hinterher, wenn wir die Aufträge der Wehrmacht verlieren, müssen wir dichtmachen!«
    Sie können mir nichts nachweisen, dachte sie. Wenn Plöger mich gesehen hätte, dann hätte er es längst gesagt. Niemand weiß, dass ich es war. Kalter Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, und ihre Finger kribbelten.
    Oksana grinste. »Heute gibt’s eine lange Mittagspause. Sind sie schlimm kaputt, die Maschinen?«
    Die Geheime Staatspolizei würde Fragen stellen, es kam auf eine gute Selbstbeherrschung an. Oksana könnte sie durch eine einzige Geste verraten. Besser, sie ließ sich ihr gegenüber nichts anmerken. »Glaube schon. Der Techniker sagt, es wird über eine Stunde dauern, sie wieder in Gang zu kriegen.«
    »Gott sei Dank.« Oksana setzte sich auf eine Kiste, beugte sich vor und schüttelte die Arme aus. »Ich wäre bald zusammengeklappt.«
    »Erzähl mir von Neheim.« Sie sah sich um. Auch die deutschen Arbeiterinnen setzten sich auf Kisten und Bänke. Ohne die zwei Maschinen lief nichts. Aber sie konnte nicht sitzen, dafür war sie zu nervös.
    »Diese kleine Stadt soll sogar berühmt sein, habe ich gehört.«
    »Und warum?«
    »Wegen der Lampen, die hier früher hergestellt wurden. Die hat man bis nach Indien und China exportiert. Bei Trögel kind & Winkler wurden vor dem Krieg auch Lampen produziert und Schalter und Elektrik und so was.«
    »Und jetzt baut keiner mehr Lampen?« Ihre Stimme klang dünn. Hatte sie rote Flecken im Gesicht? Hoffentlich sah man ihr nichts an.
    »Alle beliefern die Wehrmacht. Mit Spirituskochern, mit Munition, mit Uniformen – lauter Kriegsgüter. Frag mal herum im Barackenlager.«
    »Was weißt du noch über Neheim? Die Wälder auf den Hügeln ringsum, sind sie tief, oder kommt gleich dahinter die nächste Stadt?«
    »Willst du immer noch abhauen?«
    Sie nickte.
    »Mädchen! Du musst dir das aus dem Kopf schlagen.«
    »Ich finde eine Möglichkeit, verlass dich drauf. Ich gehe nach Hause zurück.«
    »Hier ist jetzt dein Zuhause. Denk nicht mehr an die Heimat, das zerreißt dir nur das Herz.«
    »Es zerreißt mir nicht das Herz. Es gibt mir Kraft zu kämpfen.«
    »Still jetzt! Wenn uns jemand so reden hört, sind …« Sie brach ab. Mit großen Augen starrte sie zum Eingang der Fabrikhalle. »O batjunki!«
    Nadjeschka wandte sich um. Zwei Männer in schwar zen Ledermänteln betraten die Fabrik. Plöger war bei ihnen. Suchend sah er sich um. Dann blieb sein Blick an ihr hängen. Er zeigte auf sie und sagte etwas.
    Ihr blieb das Herz stehen.
    Die drei kamen auf sie zu. Wie hatte man sie entlarvt? Hatte jemand beobachtet, wie sie im Barackenlager die Löffel gestohlen hatte?
    »Das ist sie?«, fragte ein schlaksiger Mann. Er war noch jung, er musste etwa in ihrem Alter sein. Seine Haare hatte er sich mit Pomade gefügig gemacht, sie glänzten und klebten ordentlich gekämmt am Kopf.
    »Sie stand ganz in der Nähe«, erklärte Plöger.
    »Keine vorschnellen Urteile, Hans.« Der ältere der Gestapomänner musterte sie. »Der Löffel ist dir sicher versehentlich in die Maschine gefallen? Uns kannst du alles sagen.«
    Er wollte sie zu einem Geständnis verleiten. »Welcher Löffel?« Ihre Stimme klang ein wenig gequetscht. Hörten sie ihr die Angst an? Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie haben nichts gegen dich in der Hand!
    »Zwei Löffel in zwei Maschinen?« Plöger lachte meckernd. »Solche Zufälle gibt es nicht.«
    Der dickbäuchige Gestapomann fuhr ihn an: »Halten Sie den Mund! Sie stören die Polizeiarbeit mit Ihrem unqualifizierten Gequatsche.«
    »Verzeihung.« Plöger zog den Kopf ein. »Ich will Ihnen nicht reinreden.«
    »Dann tun Sie’s nicht. Treten Sie zurück.«
    »Verstanden.« Kleinlaut entfernte sich Plöger einige Schritte.
    Der Gestapomann wendete sich wieder ihr zu. »So ein junges Ding wie du hängt doch viel zu sehr am Leben. Du hast sicher nichts sabotiert. Du hast alles vor dir, warum solltest du deine Zukunft aufs Spiel setzen? Ich will dich nicht mit auf die Wache nehmen, weißt du? Wer einmal dort gewesen ist, bekommt seine Akte meist nicht wieder reingewaschen. Wir können das alles hier vor Ort klären. Hast du einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«
    »Ich habe nichts gesehen. Tut mir leid, ich kann Ihnen niemanden

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