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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Aufgabe, kapiert? Wir suchen den Partisan hier im Ort.«
    »Glauben Sie immer noch an einen Einzeltäter?«, fragte Hans.
    »Selbstverständlich.«
    »Dann muss das ein mutiger Mann sein. Spott ist ja das eine, doch jetzt bezichtigt er die Regierung der Lüge! In der Schachtel, die im Wartehäuschen der Kleinbahn gefunden wurde … Hat Sie der perfide Witz nicht erschüttert? Lügen haben ein zu kurzes Bein. Er macht sich über die körperliche Behinderung von Joseph Goebbels lustig!«
    »Keine Sorge, wir kriegen diesen Witzbold.« Sie waren am Pfarrhaus angekommen. Axel läutete. Er liebte es, sein Gestapoabzeichen vorzuzeigen. Lässig holte er es am Kettchen aus der Westentasche, und als die Frau des Pfarrers die Tür öffnete, hielt er ihr die eiserne Marke unter die Nase. Vor dem Reichsadler war bisher noch jeder eingeknickt. »Wir würden gern mit Ihrem Mann sprechen«, sagte er.
    Sie erblasste. »Bitte, kommen Sie herein.« Sie brachte sie ins Arbeitszimmer des Pfarrers, der sich sofort vom Schreibtisch erhob, ein rundlicher Kerl, dem die Haare ausgingen. Gleich fiel Axel die Schreibmaschine ins Auge. Er sagte: »Hans, such nach Kohlepapier im Mülleimer.«
    Der Pfarrer schwitzte. »Ich verstehe nicht …«
    »Und dann«, befahl er Hans, »legst du ein Blatt Papier in die Maschine ein und tippst jeden Buchstaben einmal in Groß und einmal in Klein. Das vergleichst du dann mit den Streichholzschachtelbotschaften.«
    Mit Feuereifer ging der Assistenzanwärter ans Werk.
    Axel setzte sich leger auf den Tisch. »Wollen Sie uns etwas beichten, Herr Pfarrer?«
    »Nein. Ich sehe keinen Grund für Schuldgefühle Ihnen gegenüber.«
    So so. Es wollte kämpfen, das Männlein. »Sie gehören zur Bekennenden Kirche. Ihr Bonhoeffer sagt, es genüge nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Er ruft dazu auf, ›dem Rad in die Speichen zu fallen‹. Da konnten Sie nicht hintanstehen, was? Sie wollten sich mit dem Staat anlegen.« Er breitete die Hände aus. »Da sind wir.«
    »Ich habe kein Interesse an einem Machtkampf mit dem Staat.«
    »Sie enttäuschen mich. Bonhoeffer haben wir schon im Gefängnis, in Berlin. Wollen Sie ihm nicht Gesellschaft leisten?«
    »Was werfen Sie mir vor?«
    »Die Leute gehen gerne zu Ihnen in die Kirche, weil Sie kurzweilig und spritzig predigen. Sie sind für Ihren Humor bekannt.«
    »Humor ist kein Vergehen.«
    »Nicht, solange man sich staatsfeindlicher Witze enthält.« Axel holte die drei Zettel aus der Jackentasche. Er entfaltete sie alle drei und legte sie auf den Tisch. »Kommen Ihnen diese Flugblättchen bekannt vor?«
    Erst zögerte der Pfarrer, dann beugte er sich über den Tisch und las. Sein Hals rötete sich. »Ich sehe diese Zettel zum ersten Mal«, sagte er.
    »Natürlich.« Axel wählte den Zettel mit dem längsten Text aus. Er war in einer Streichholzschachtel in der Betriebsküche der Ruhrtal-Motorradwerke aufgetaucht und karikierte das marktschreierische Pathos des Reichspropagandaministers.
    Er ging mit dem Blättchen zur Schreibmaschine hinüber. Soeben holte Hans die Probeseite heraus, die er getippt hatte. Axel hielt sie neben den ketzerischen Zettel und verglich die einzelnen Buchstaben.
    Wir werden dem deutschen Soldaten nicht ein, nicht zwei, nicht drei – nein, wir werden dem deutschen Soldaten Vierfruchtmarmelade an die Front schicken!
    Goebbels’ Tonfall war gut getroffen, beinahe mochte er dem Pfarrer zu seinem Witz gratulieren. Aber Kriege waren nicht die Zeit für demoralisierende Witze. Der Mann musste wissen, wo die Grenze anständigen Humors lag. »Sie haben eine Abneigung gegen Joseph Goebbels, nicht wahr?«
    »Meine privaten Vorlieben und Empfindungen …«
    »Privat sind sie, solange man sie für sich behält«, fiel er ihm ins Wort. Axel runzelte die Stirn. Der schwache Querstrich beim kleinen t stimmte nicht überein. Und das ausgefranste F war auf dieser Schreibmaschine messerscharf. Selbst das Komma besaß eine andere Form. Der Zettel war nicht mit dieser Maschine verfasst worden. »Besitzen Sie eine weitere Schreibmaschine?«
    »Wozu?«, erwiderte der Pfarrer. »Sie ist bestens in Ordnung.«
    »Was hatten Sie gestern bei den Motorradwerken zu suchen?«
    »Bei den Motorradwerken?«
    »Man hat Sie gesehen.«
    Er schien zu überlegen. Schließlich sagte er: »Ich habe etliche Gemeindemitglieder dort. Aber über deren persönliche Probleme rede ich nicht mit Ihnen.«
    »Ist Ihnen bekannt, dass es in der Fabrik mehrfach zu Akten von Sabotage gekommen

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