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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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einmal Deutsch von dir hören, hast du mich verstanden? Du verschandelst unsere Sprache.«
    Sie schwieg, bis die Gestapo eintraf. Rock und Bluse waren inzwischen fast getrocknet, trotzdem fror sie. Ein schwarzer Mercedes fuhr am Rand der Talsperre vor. Zwei junge Männer in Zivil stiegen aus. »Sind das die beiden?« Sie brachten sie zum Auto, ließen sie einsteigen. Weich empfing sie das Leder der Rückbank, es verwöhnte ihren Körper nach der anstrengenden Nacht, als wolle es sie empfänglicher machen für die Schmerzen, die vor ihnen lagen.
    Die Gestapomänner stiegen vorn ein. Sie verriegelten nicht die Türen, vielleicht war es ihnen gleichgültig, ob ihre Gefangenen unterwegs einen neuerlichen Fluchtversuch unternahmen, oder sie wünschten es sich sogar. Ein Kopfschuss sparte ihnen Mühe.
    Nadjeschka hörte Oksanas bebenden Atem neben sich. Sie tastete nach ihrer Hand, wollte sie halten, ihr Trost geben. Oksana zog ihre Hand zurück.
    »Bist du wütend auf mich?«
    Sie sah starr nach vorn. Ihr Kinn zitterte.
    »Es tut mir leid. Wirklich.«
    Sie fuhren über eine Landstraße. Rechts und links wuchs fettes Gras. Die Stämme der Bäume waren weiß angemalt, um den Straßenrand nachts sichtbar zu machen. Vielleicht sehe ich zum letzten Mal etwas von dieser Welt, dachte sie. Ihr Herz flatterte. Sie versuchte sich mit simplen Gedanken zu beruhigen. Das Gras ist für die Viehhaltung. Sie mähen es und machen Heu daraus. Oder Silage. Das dort ist ein Roggenfeld. Und das ein Waldstück.
    Die Angst wurde immer schlimmer. Da bemerkte sie, dass es zum Barackenlager ging. Sie hielten, das Tor wurde für sie geöffnet. Sie fuhren auf den Platz. »Aussteigen«, sagte der Fahrer des Mercedes, und beide befolgten sie den Befehl. Oksana schlotterte.
    Kühe grasten in den Wiesen hinter dem Stacheldrahtzaun. Die Frauen waren in die Fabriken gegangen, nur noch ein paar Kinder sahen aus den Fensterluken der Baracken und warteten darauf, dass die Mutter wiederkam. Eines der Kinder schlich über den Hof zur Waschbaracke.
    Der Koch war dabei gewesen, Holz zu hacken. Er hielt die Axt fest und sah besorgt auf den Mercedes der Gestapo, die jungen Männer in Zivil und Oksana und sie. Sie hatte ihn gemocht.
    Die Tür der Bürobaracke öffnete sich. Nein, dachte sie, alles, aber bitte nicht das! Georg Hartmann trat heraus. Blass und mit geröteten Augen. Ein Blick von ihm traf sie, schwer und schmerzerfüllt.
    »Heil Hitler, Herr Lagerführer«, grüßten die Gestapomänner. »Gehören diese Frauen zu Ihnen?«
    Georg nickte.
    »Sie wurden auf der Flucht gefasst und gehen in die Zuständigkeit der Geheimen Staatspolizei über.« Der Fahrer zwang sie zurück ins Auto. Georg sah wortlos zu, das Gesicht eine abweisende Mauer, nur an seinen Augen erkannte sie, wie aufgewühlt er war.
    Er hat mich wirklich geliebt, dachte Nadjeschka. Plötzlich schmerzte sie jeder Körperteil. Sie wollte leben! Sie wollte weiterleben und diese Liebe erwidern, wollte Georg um Verzeihung bitten. Ein Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle. Auf einmal flossen Tränen.
    Der Mercedes fuhr an. Durch den Tränenschleier sah sie nach Georg, er stand da und blickte ihnen nach, während sie zum Tor hinausfuhren. Sie verdrehte sich den Hals, schaute ihn an, bis er nur noch ein kleiner dunkler Strich vor den weißen Baracken war.

23
    Eric blinzelte. Er hatte keine Ahnung, wo er war.
    Ein Schatten beugte sich über ihn. »Sie können von Glück reden, dass es keine K-Patrone war.«
    Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er blickte hoch, sah sche menhaft einen Mann. »Eine was?«, fragte Eric. Schon diese zwei Worte auszusprechen fiel ihm schwer. Als würden Gaumen und Zunge nicht mehr recht zusammenarbeiten.
    »Die Deutsche hat mit einer Welrod auf Sie geschossen, schallgedämpft durch ölimprägnierte, selbstdichtende Lederscheiben.«
    Er hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Die Erinnerung kam stockend, verharrte, machte einen Schritt vor, einen zurück: die enge Gasse, der dunkle Hauseingang, die Treppe, der stechende Schmerz. Dann Finsternis.
    Der Mann sprach weiter: »Sie hatte eine Nahpatrone Kaliber .32 geladen, wir haben die grüne Hülse im Treppenhaus gefunden. Schalldämpfermunition mit verminderter Treibladung. Gibt kaum einen Mündungsknall. Hätte sie sich für eine K-Patrone entschieden statt der leisen Munition, wären Sie jetzt nicht mehr am Leben. Die füllen sie mit Aconitin, einem Pflanzengift. Da ist selbst ein Streifschuss tödlich oder ein Durchschuss wie

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