Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
im alten Rom bekannt. Lamina bedeutet ›Verschlingerin‹. Die Beschreibungen ihrer äußeren Erscheinung gleicht verblüffend Ihrem eigenen Aussehen, Ludmilla. Und es heißt, dass diese Wesen das Tageslicht nicht mochten, aber durchaus vertrugen. Das gilt ebenfalls für die griechischen Empusen , die der Göttin Hekate angeblich dienten. Aber das ist noch nicht alles.«
Barker war mächtig in Fahrt.
»Hier, Ludmilla, lesen Sie die Beschreibung von Lilitu , der sumerischen Dämonin. Und dann Lilith , der altjüdischen Geisterscheinung. Ist es nicht verblüffend, wie viel mit Ihren eigenen Merkmalen übereinstimmt?«
Wir fanden noch weitere Belege für den Zusammenhang zwischen Vampirismus und dem weiblichen Geschlecht. Natürlich war in den Quellen auch immer wieder von männlichen Blutsaugern die Rede. Aber in diesem Zusammenhang war stets auch der größte Unsinn zu lesen. Zumindest im Vergleich mit meinen Erfahrungen. Ich konnte mir nämlich ohne Probleme Kreuze ansehen, sah mich deutlich im Spiegel und starb auch nicht, wenn ich mit fließendem Wasser in Berührung kam, wie immer wieder behauptet wurde.
Ich selber fand in den Unterlagen noch zwei weibliche Vampirarten, die vor achthundert Jahren in Mitteleuropa ihr Unwesen getrieben haben sollen. Sie hießen Shtria und Succubus . Es war tatsächlich verblüffend, wie sehr das weibliche Element in dieser düsteren Mythologie dominierte.
Schließlich stand Barker auf, streckte sich und sagte: »So weit, so gut. Aber jetzt habe ich noch etwas ganz Besonderes. Etwas, das in keinem dieser Bücher steht.«
Er ging zu einem der Regale und zog ein paar sehr alt aussehende Schriftstücke hervor, die er durch Klarsichtfolien geschützt hatte.
»Es sind Texte aus Europa. Nicht genau datiert, aber sehr alt. Sie stammen aus einem Kloster in Serbien. Ich habe sie von einem alten Mönch auf einer Reise gekauft. Er sagte damals, darin stünde die Wahrheit über Vampire. Ich hatte nie die Zeit, sie zu übersetzen, zumal sie zum Teil verschlüsselt sind. Aber jetzt habe ich damit angefangen.«
Er schwieg bedeutungsvoll.
Ich wurde langsam ungeduldig.
»Professor, bitte kommen Sie zur Sache. Was steht drin?«
»Nun, ich bin zwar noch lange nich t durch, aber es heißt dort, dass es eine uralte Rasse von weiblichen Vampiren gibt, die sich geschickt tarnt und seit Jahrtausenden existiert: die ›Dunklen Schwestern‹. Sie sind angeblich über die ganze Welt verstreut, leben unerkannt unter uns und nehmen neue Mitglieder nach einem festen und geheimnisvollen Ritual auf. Es existieren lokale Zirkel, die jeweils von einer Oberin geleitet werden. Und jetzt kommt es, Ludmilla: nur diese Oberin kann neue Vampire erschaffen. Wie dies funktioniert, ist ein Geheimnis, das nur von Oberin zu Oberin weitergegeben wird. Sehr viel weiter bin ich noch nicht. Teilweise sind die Schriften nicht sehr gut erhalten. Ich werde mich gleich morgen wieder an die Arbeit machen.«
Er gähnte.
»Oh, Professor. Entschuldigung. Ich vergesse manchmal, dass Menschen nachts müde werden. Es war faszinierend, was wir alles herausbekommen haben. Aber lassen Sie uns für heute Schluss machen. Sie müssen ins Bett.«
Er nickte nur, stand auf und brachte mich zur Tür. Ich trat hinaus in die Kühle des anbrechenden Tages.
»Lamina«, die »Dunklen Schwestern« – diese Namen geisterten mir den ganzen Weg zurück durch den Kopf. Was für eine Vorstellung: Vampire – ein unheimliches Matriarchat, das seit Jahrtausenden im verborgenen existierte. Aber wo waren sie, all meine Schwestern? Warum nahmen sie keinen Kontakt auf? Oder wollte es das geheimnisvolle Ritual, von dem in den alten Schriften die Rede war, dass ich meinesgleichen fand? Ich dachte an die Frau, die mich erschaffen hatte. Wenn ich den Quellen glauben schenken durfte, dann war sie die Oberin des vampirischen Zirkels, der diese Gegend beherrschte. Ich versuchte, mich noch einmal genau an das zu erinnern, was ich damals erlebt hatte. Alles war klar – bis zu dem Punkt, an dem ich ohnmächtig geworden war. So sehr ich es auch versuchte. Ich kam nicht weiter. Da war nichts – nur Schwärze.
In meinem Appartment fand ich eine Nachricht von Grant auf dem Anrufbeantworter. Der Club sei wieder geöffnet, und er hoffe, mich bald dort zu sehen. Außerdem habe Linda nach mir gefragt und wolle wissen, warum ich sie noch nicht besucht hätte.
Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Ich hatte nur noch an mich gedacht. Gleich morgen würde ich zu
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