Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
zu sein. Ich merkte, wie gut es mir tat, mir einmal alles von der Seele zu reden. Nichts verheimlichen, nicht lügen zu müssen. Ich ließ nichts aus. Auch nicht die Geschichte mit Serge. Barker unterbrach mich kein einziges Mal.
Als ich geendet hatte, graute draußen der Morgen.
Barker sah mich lange an, blätterte zerstreut in seinem Block und sagte dann: »Ich bin fasziniert. Endlich habe ich einen lebenden Beweis für eine paranormale Existenz. Und dann handelt es sich noch um ein Wesen, das sogar wissenschaftlich ausgebildet ist. Was für ein Glücksfall! Ich will Ihnen helfen. Ihnen alles erzählen, was ich weiß. Mit Ihnen forschen. Ich habe eine Unmenge Fragen. Aber eines vorweg: Wie soll ich damit leben, dass Sie durch die Stadt laufen und Menschen töten?«
»Das weiß ich nicht, Professor«, antwortete ich. »Ich bin, was ich bin. Ich mu ss trinken oder leiden. Ich weiß nicht einmal, ob ich sterben würde, wenn ich es nicht täte. Aber ich weiß, dass der Durst nicht zu ertragen ist. Und nicht nur das: ich kann einfach nicht anders. Wenn es soweit ist, zwingt mich etwas, es zu tun. Etwas, das stärker ist als ich. Es hat keinen Sinn, wenn wir hier über die Freiheit des Willens diskutieren. Das, Professor, wäre ein menschlicher Diskurs. Aber ich bin nun mal kein Mensch.«
Barker schwieg. Ich sah die Verzweiflung in seinem Blick.
»Nun gut, Professor«, sagte ich schließlich. »Erstens werden die Intervalle immer größer. Und zweitens biete ich Ihnen an, dass ich mir nicht meine Opfer suche, sondern dass sie mich auswählen.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Nun, ich bin zwar ein Vampir. Aber äußerlich immer noch eine junge Frau. Wenn der Hunger kommt, werde ich nachts herumlaufen und versuchen, stets so lange zu warten, bis irgendein Mann auf die Idee kommt, mich zu überfallen. Dann trifft es nur die, die es im Grunde nicht besser verdient haben. Sie würden sich wundern, wie schnell das in bestimmten Gegenden geht. Pech für die Herren, aber zumindest sind sie keine unschuldigen Lämmer auf dem Weg nach Hause zu den Kindern.«
»Ich weiß nicht, ob mich das wirklich tröstet«, antwortete Barker mit bitterem Lächeln. »Aber es ist wohl alles, was ich bekomme, oder?«
»So ist es.«
Draußen wurde es immer heller.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte ich. »Ich komme heute Abend wieder, wenn es Ihnen recht ist.«
Barker nickte und stand auf. Gemeinsam gingen wir zur Eingangstür. Ich hatte natürlich registriert, da ss er mir Goldsteins Besuch verschwiegen hatte. Wollte er mich ans Messer liefern? Oder wollte er nur einfach noch darüber nachdenken? War es vielleicht besser, ihn doch jetzt sofort zu töten? Ich war hin- und hergerissen. Ich mochte den alten Mann, und es tat so gut, offen zu reden.
Aber dann, als ich schon ein paar Schritte nach draußen gemacht hatte, rief er plötzlich: »Ludmilla, warten Sie.«
Ich drehte mich um. Er trat hinaus. »Vor ein paar Tagen war ein Polizist bei mir. Er hat…«
»Ich weiß«, unterbrach ich ihn. »Kommissar Goldstein. Ich bin froh, da ss Sie das gesagt haben, Professor. Wir sprechen morgen darüber.«
Dann strich ich ihm sanft über das Gesicht und verschwand, ehe seine sterblichen Augen auch nur einen Wimpernschlag vollendet hatten.
18 - LAMINA
Ich ließ vier Tage und Nächte verstreichen und wartete angespannt, ob ich Barker vertrauen konnte. Ab und an rief ich im Club an, aber niemand hatte nach mir gefragt. Dennoch hatte ich Angst, denn Barker war der einzige Mensch, der die ganze Wahrheit kannte. Ich war ein ziemliches Risiko eingegangen. Doch es geschah nichts Außergewöhnliches.
In der Nacht des fünften Tages besuchte ich den Professor dann zum zweiten Mal. Etwa eine Stunde beobachtete ich sein Haus. Als ich sicher war, dass er keinen Besuch hatte, ging ich zu einer Telefonzelle und rief ihn an.
»Guten Abend, Herr Professor«, sagte ich betont beiläufig.
»Ludmilla!«
Barkers Stimme klang aufgeregt.
»Endlich höre ich von Ihnen. Wann sehe ich Sie wieder?« fragte er.
»Das klingt ja wie eine Liebeserklärung, Herr Professor«, sagte ich und lachte.
»Bitte kommen Sie vorbei«, sagte er, ohne auf meine Bemerkung einzugehen. »Ich habe einige interessante Dinge in meinen Büchern gefunden. Wie es scheint…«
»Ich bin in zwei Minuten bei Ihnen«, unterbrach ich ihn und legte auf.
Schon als ich die Auffahrt zu seinem Haus betrat, öffnete er erwartungsvoll die Tür.
»Ich weiß nicht, ob ich mich freuen darf, Sie
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