Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
sarkastischen Kommentaren. Aber schließlich fuhren alle mit quietschenden Reifen davon und setzten im Schatten des gigantischen Stadions ihre wilden Rennen fort.
Patrick fuhr los in Richtung Stadt.
Ich schwieg. Stumm vor Hunger und Gier.
»Was ist denn genau passiert?« fragte er.
»Zwei Männer«, antwortete ich gepresst. »Einer hat mir eine Knarre vors Gesicht gehalten, und der andere hat mir seelenruhig die Taschen ausgeraubt.«
»So was. Heutzutage ist man ja wohl nirgends mehr sicher. Wie heißt du überhaupt?«
»Ludmilla.«
»Gut, Ludmilla. Dann wollen wir dich mal, so schnell es geht, zu den Bullen bringen.«
Er beschleunigte. Draußen raste die Landschaft vorbei. Am Straßenrand wies ein Schild auf einen abgelegenen Rastplatz hin.
»Entschuldige«, sagte ich nach einer Minute. »Könntest du da vorn auf den Parkplatz in dem Wäldchen fahren? Mir ist nicht gut.«
»Na, klar.«
Als der Wagen endlich zum Stehen kam, schaltete Patrick den Motor ab und sah mich erwartungsvoll an.
»Und? Wolltest du nicht raus?«
»Nicht mehr, Patrick. Es tut mir leid.« Wir waren allein.
»Was tut dir leid?«
»Da ss du es sein musst.«
Ich wollte es nicht tun. Aber der Hunger war übermächtig. Ehe Patrick reagieren konnte, hatte ich ihn gepackt und meine Zähne in seinen Hals gegraben. Er konnte meinem Griff nichts entgegensetzen. Er versuchte, sich zu wehren, schlug auf meinen Rücken ein. Aber seine Bewegungen wurden immer kraftloser. Er starb schnell, während ich mich satt trank.
Als es vorbei war, weinte ich. Er lag neben mir, bleich und zusammengesunken. Ich hatte noch nie jemanden getötet, mit dem ich vorher geredet hatte, der nett zu mir gewesen war und dessen Namen ich kannte. Patrick hatte diesen Tod nicht verdient. Vielleicht ein anderer aus seiner Gruppe verzogener, reicher Kids. Aber nicht er, der einzige von ihnen, der sich anständig benommen hatte. Ich hasste mich. Ich hasste, was ich getan hatte. Ich haste meine teuflische Existenz und die abstoßende Art, wie ich mein untotes Leben erhalten musste.
Aber schließlich raffte ich mich auf, zog Patricks Leiche auf den Beifahrersitz, setzte mich ans Steuer und fuhr los.
Erst jetzt wurde mir das ganze Ausmaß meines Verhaltens klar. Ich war mit Patrick vor Zeugen weggefahren. Seine Freunde würden ihn irgendwann vermissen, die Polizei benachrichtigen und eine detaillierte Beschreibung der Person abgeben können, die zuletzt mit ihm gesehen worden war. Zum Glück hatte ich meine große Sonnenbrille getragen. Zudem hatten meine langen Haare einen großen Teil meines Gesichtes verdeckt.
Trotzdem: Ich mu sste dringend seine Leiche und den Wagen verschwinden lassen. So würde er vorerst lediglich als vermisst und ich als mögliche Zeugin gelten. Vielleicht würden sie annehmen, er sei abgehauen, mit mir durchgebrannt oder sonst irgend etwas. Wenn sie erst seine Leiche hätten, könnte es schwierig werden für mich.
Ich bog ab auf eine Seitenstraße. Mittlerweile war es dunkel. Nach ein paar Kilometern erreichte ich das Ufer eines großen Sees. Die Straße stieg leicht an, und schließlich konnte ich das Wasser unter mir im Licht des Mondes funkeln sehen. Ich wu sste nicht, wie tief der See war, aber ich musste es riskieren. Es war besser als nichts. Ich stoppte den Wagen, schob Patrick auf den Fahrersitz, drehte das Lenkrad bis zum Anschlag nach rechts und schob den Wagen langsam auf die Böschung zu. Er fiel direkt ins Wasser, etwa zwei Meter vom Ufer entfernt, und ging sofort unter. Nach ein paar Sekunden war die Oberfläche des Sees so ruhig wie vorher. Patrick hatte sein nasses Grab gefunden.
Ich lief zu Fuß zurück in die Stadt. Ohne müde zu werden, in gleichbleibendem Tempo, schneller als jede austrainierte Marathonläuferin. Ich schwor mir, nie wieder so lange zu warten, wenn ich den ersten Anflug von Hunger verspürte. Nie wieder.
Kurz vor 23 Uhr hatte ich Barkers Haus erreicht. In seinem Arbeitszimmer brannte noch Licht. Ich klingelte und trat etwas zurück in die Dunkelheit. Er kam an die Tür und öffnete wieder, ohne zu fragen, wer da sei. Als er mich sah, prallte er zurück.
»Mein Gott!« rief er entsetzt.
Im Spiegel hinter ihm sah ich, warum. Vor seiner Tür stand eine schwarze Silhouette, in deren Kopf zwei bläuliche Augen glommen.
»Ich habe Ihnen doch davon erzählt, Professor«, sagte ich. »Sie leuchten, wenn es geschehen ist. Lassen Sie mich trotzdem hinein? Sie wollen sich das doch sicherlich näher ansehen,
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