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Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Fluchtplan.
    Die Sozialarbeiterin war wirklich zum Verlieben nett. Sie wies Leon in die Geheimnisse der Waschmaschine ein. Es war nämlich seine erste Aufgabe, für frische Wäsche zu sorgen.
    Im Keller gab es einen Waschraum, in dem es zwar muffig roch, aber gleichzeitig auch nach Zitrone. Es gab drei große Körbe mit Wäsche. 30 Grad, 60 Grad und 90 Grad.
    Sie redete und redete. Ihr freundlicher Singsang lullte Leon ein, stimmte ihn friedlich und machte ihn müde. Sie erklärte ihm die Waschprogramme, zeigte ihm das Flusensieb und wie es gereinigt werden musste. Das alles langweilte Leon unendlich und interessierte ihn nicht die Bohne. Aber diese Sozialarbeiterin war nur ein paar Jahre älter als er. Er schätzte sie auf vier-, höchstens fünfundzwanzig. Sie roch nach Vanille, und wenn sie sich vorbeugte und näher an ihn herantrat, war es, als würde er sich nach einem Regenschauer in einem Wald befinden. Die duftete nach Moos, Pilzen und frisch geschlagenem Tannenholz. Der Geruch war ganz nah an ihrer Haut. Schon mit einem halben Meter Abstand nahm er nur noch Vanille wahr, aber darunter war dieser verwirrende Waldduft.
    Wie macht sie das, dachte er. Die hatte kurze schwarze Haare und wirkte burschikos auf Leon. Sie wusste genau, was sie wollte, und war bereit, sich durchzusetzen, mit Freundlichkeit oder Strenge, je nachdem. Sie hieß Sandra Bauer, und obwohl Leon nicht an diesem Ort sein wollte, sich einen Dreck für die Waschmaschine und die Haushaltsregeln interessierte, fühlte er sich in ihrer Nähe wohl.
    Das erste Essen war nicht gerade der Knaller. Paul Neumann, der Wert darauf legte, dass er aus Kirgisien kam und auf die Bezeichnung »Russlanddeutscher« allergisch reagierte, hatte Erbsensuppe mit Speck gekocht. So habe seine Oma in Bergtal immer gekocht. Die Suppe war dick und fettig, und alle aßen mit langen Zähnen. Auch Leon löffelte ein bisschen davon, um Paul nicht zu beleidigen.
    »Hat ma einer Maggi?«, fragte Meggie, eine Punkerin mit Hundehalsband, die sich sogar morgens Maggi aufs Brot träufelte und auf die Frühstückseier. Sie nutzte den Inhalt der Flasche scheinbar auch als Parfüm. Jedenfalls umgab sie eine Wolke von Liebstöckl. Sie schnappte sich die Würze und ließ einen Dauerregen auf ihren Teller prasseln.
    »Meggie, ich glaube, das reicht jetzt«, sagte Sandra Bauer in einem deutlich fröhlichen Ton. Meggie ballerte hart zurück: »Wieso? Musst du diese Jauche essen oder ich?«
    »Äi, willze mich beleidigen?«, fragte Paul scharf nach.
    »Wieso dich? Ich sage nichts gegen dich oder deine Religion oder das blöde Tal, aus dem du kommst! Ich krieg nur diesen Schleim hier nicht ohne Maggi runter.«
    »Ich komm aus keinem Tal! Das Dorf hieß Bergtal, du blöde Schlampe. Es ist keine sechzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Wir sind hier weiter von Berlin weg als …«
    »Sag noch einmal Schlampe zu mir, du Russe, du, dann hast du deine Suppe im Gesicht!«
    Leon sah kommen, wie das hier weitergehen würde. Noch bevor es wirklich geschah, hörte er Paul Neumann sagen: »Schlampe! Schlampe! Schlampe!«
    Leon schloss die Augen. Es war genauso, wie er es sich vorgestellt hatte.
    Die Suppe flog ansatzlos in Pauls Richtung. Der riss die Arme hoch, um sich zu schützen. Daran prallte der Teller ab und knallte auf den Tisch.
    »Es ist schon sinnvoll, dass es hier nur Plastikgeschirr gibt«, sagte Conny, das verhuschte, dicke Mädchen, das selten sprach und immer versuchte, sich aus allem rauszuhalten.
    Sandra Bauer wischte sich gelassen die Spritzer aus dem Gesicht. Das Stück Speck auf ihrem T-Shirt bemerkte sie nicht. Dann leckte sie ihre Finger ab und sagte, ohne die Stimme zu heben: »Das wirst du später saubermachen, Meggie, und …«
    Weiter kam sie nicht, denn Meggie brüllte: »Warum ich? Warum nicht er?«
    »Weil du geworfen hast. Nicht er.«
    »Ach, und der darf mich Schlampe nennen oder was? Der Wichser, der!«
    »Nein, darf er nicht«, antwortete Sandra.
    Leon beobachtete die Streitenden genau. Er bewunderte Sandras Art, ruhig, aber in ihrer Meinung hart zu bleiben.
    Paul Neumann stand mitten im Raum. Er hatte die größte Ladung Erbsensuppe abbekommen. »Die hat mich verbrannt, die dusselige Kuh!«
    »Mit der lauwarmen Suppe kann man niemanden verbrennen«, stellte Sandra Bauer klar.
    Leon erkannte ihre Taktik. Sie spielte Dinge herunter, stellte Regeln auf und bemühte sich darum, jedem die Verantwortung für sich selbst zu geben. Er mochte sie immer besser

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