Nachtblauer Tod
Gefühl, ständig alles falsch zu machen.
Am liebsten hätte er gefragt: »Darf man Mädchen mit aufs Zimmer nehmen?« Aber irgendwie klang das so doof. Er konnte sich die grinsenden Gesichter lebhaft vorstellen, und er hatte wahrlich keine Lust darauf, sie in echt zu sehen.
Da fragte Johanna für ihn: »Ist Damenbesuch in diesem Kloster nach zwanzig Uhr nicht mehr gestattet?«
Sie macht es auf die lustige Tour. Leon fand das gut, aber er schaute trotzdem auf seine Füße und tat, als hätte er nichts gehört.
»Wir sind doch kein Priesterseminar!«, lachte Paul. »Aber wenn du hier pennen willst, musst du mindestens sechzehn sein, und ihr solltet es Sandra melden. Heimlichkeiten mag die nicht.«
Genau das hatte Leon befürchtet. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd, und Conny fand das Ganze auch urkomisch.
Trotzdem gingen Leon und Johanna in Leons Zimmer. Es kam ihm noch fremd vor. Er mochte die Tapete nicht, er hasste die Möbel, und war sich sicher, dass diese Plastikbruchbude vor Johannas Augen keine Gnade fand. Aber sie schaute sich nicht einmal um.
Er wollte sich für die Geschmacklosigkeiten entschuldigen, doch sie legte einen Finger über seine Lippen: »Wir sollten uns nicht mit Kulissen aufhalten, sondern uns den Inhalten widmen.«
»Ja … äh … was? Wie meinst du das?«
Sie legte die Hand, die gerade noch seine Lippen berührt hatte, auf ihre Brust und sagte: »Es gibt etwas in mir, das möchte dir gerne glauben …«
Sie sprach nicht weiter, sah ihn nur an.
»Ja, das wäre ja mal etwas ganz Neues, wenn mir jemand glauben würde. Seit der Mordnacht habe ich plötzlich keine Familie und keine Freunde mehr. Auf einmal scheine ich nur noch zu lügen und unrecht zu haben.«
»Es ist ja auch nicht leicht, dir zu glauben. Aber ich möchte dir einen Vorschlag machen.«
»Schieß los.«
Jetzt druckste sie herum. Er ließ ihr Zeit. Sie standen im Zimmer wie an einer Bushaltestelle. Fehlt nur noch, dass es regnet, dachte Leon.
Sie drückte sich an ihn, dann flüsterte sie: »Es hat da schon mal einen komischen Vorfall gegeben.«
Sie löste sich wieder von ihm. »Es war, kurz nachdem Maik bei uns eingezogen war. Er hat sich total Mühe gegeben. Ist immer mit uns ins Bad 2 gefahren. Wir haben Saunagänge gemacht und Spaß gehabt. Da hat dann vor einer Blocksauna ein Typ unheimlich Ärger gemacht, weil Maik angeblich seine Frau fotografiert hätte. Maik hat gesagt, das stimme nicht, er hätte nur auf sein Handy geguckt, weil eine SMS gekommen sei. Dann hat er sein Handy sofort weggeschlossen, um noch mehr Missverständnisse zu vermeiden. Für uns war dieser Mann ein blöder Spinner. Wir konnten das doch alles gar nicht einordnen. Und dann haben wir seine Frau gesehen, da wurde das Ganze noch witziger – also, sie war nicht gerade eine Sexbombe …«
Sie verstummte. Vor ihrem inneren Auge liefen die Szenen in der Sauna erneut ab.
Leon wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Er kam sich linkisch vor. Zu gerne hätte er Aktivitäten entfaltet, aber er fühlte sich gefesselt, irgendwie bewegungsunfähig.
»Du hast gesagt, du hast einen Vorschlag …«
Sie sah ihn an, als hätte er sie aus seinem Traum geweckt.
»Ja. Habe ich. Wir sollten das Spiel mitspielen.«
»Häh?«
Sie hob abwehrend die Hände und fuhr fort: »Er ist krankhaft veranlagt.«
Leon blies heftig Luft aus. »Das kann man wohl sagen.«
»Wir können also davon ausgehen, dass er es wieder tut.«
Leon tippte sich gegen die Stirn. »Der müsste schön doof sein. Jetzt, da ihn alle misstrauisch beäugen und nur darauf warten, dass er …«
Johanna begann, in dem kleinen Zimmer auf und ab zu gehen. Sie wusste nicht wohin mit ihrer Nervosität. Am liebsten wäre sie jetzt bis zur Erschöpfung gejoggt.
»Wir müssen ihn in Sicherheit wiegen. Er soll denken, dass alles in Butter ist. Du bist der Böse, Leon. Du wolltest ihm die Straftat deines Vaters anhängen. Er selbst ist fein raus. Seine Firma hat ihn angeblich betrogen …«
»Er macht sich selbst zum Opfer.«
»Stimmt. Es gelingt ihm immer, alles so zu drehen, als sei er nicht der Täter, sondern ein Opfer. Und ich werde ihm gegenüber so tun, als würde ich alles glauben, genau wie meine verliebte Mutter und mein verblödeter Bruder. Ich werde mich sogar bei ihm entschuldigen, weil ich ihn verdächtigt habe. Ich werde auf dich schimpfen und …«
»Und was?«
»Und ihn beobachten.«
Leon ließ sich aufs Bett fallen. Metallfedern krächzten gequält. Er staunte,
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