Nachtblauer Tod
werden einmal im Monat Blumen auf ihr Grab stellen. Zumindest am Anfang. Dann wird eine Gärtnerei damit beauftragt, das Grab zu pflegen. Das Leben muss schließlich weitergehen …«
Johanna bog sich. Sie versuchte verzweifelt, sich zu befreien, was aber völlig sinnlos war und sehr gefährlich aussah.
Leon befürchtete, falls die Seile reißen und sie kopfüber herunterknallen würde, könnte sie sich das Genick brechen oder den Kopf einschlagen.
»Dein Plan klingt gut. Er ist es aber nicht«, sagte Leon trocken. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Er suchte einen Ausweg. Jetzt, da er wieder fest auf dem Boden stand, hatte er eine Chance, dieses Duell zu gewinnen. Zumindest redete er sich das ein.
»Was stimmt denn mit meinem Plan nicht, Kleiner? Er ist perfekt.«
»Die Polizei wird unsere Handys überprüfen. Wenn sie lesen, was wir uns gesmst haben, dann …«
Maiks Lachen klang hysterisch und erinnerte Leon an das Lachen der Hexen in einem Film.
»Hexen hexen«, sagte Leon.
Maik ging nicht darauf ein. Dies war nicht die Zeit für Späße mit Filmzitaten, nicht einmal für ihn.
»Die Polizei wird eure Handys suchen, aber nie finden. Für genau solche Fälle ist die Nordsee da. Blubb, blubb, weg sind die Handys. Die Telekom hat lediglich die Verbindungen gespeichert. Nicht, was gesmst wurde. Und ihr hattet ja regen SMS-Verkehr. Aus der Nummer kommst du nicht raus, Junge. Jetzt werde ich Johanna erstechen, so wie ich es mit deiner Mutter gemacht habe. Möchtest du, dass ich dir vorher eins über die Rübe haue, oder soll ich dich zugucken lassen?«
Johanna zitterte so sehr, dass die Stahlräder des Flaschenzugs klirrten. Sie musste sich übergeben, konnte aber nicht ausspucken, weil ihr Mund zugeklebt war.
Maik tänzelte vor Leon herum wie ein Harlekin auf Speed.
Er hat noch gar nicht kapiert, dass ich mich wieder bewegen kann, dachte Leon. Für ihn bin ich immer noch schockgefroren.
Leon nahm es als Chance. »W … wenn ich mich bewegen könnte, dann, dann würde ich dich …«
Maik fand immer mehr Spaß daran. »Du bist ein Psycho, stimmt’s? Hast du das öfter? Solche katatonischen Zustände?«
Leon reagierte nicht.
»Ich hatte mal einen Kumpel, der bekam so epileptische Anfälle, dann wurde der auch steif wie ein Brett. Ist das bei dir so ähnlich? Wer weiß, vielleicht hilft dir das sogar. Wenn irgendein Seelenklempner vor Gericht daraus mildernde Umstände für dich macht … Wenn du immer schon so einen Haschmich hattest und vielleicht irgendein Mutterproblem … das kann dir vor Gericht echt helfen. Diese Psychologen stehen auf Mutterprobleme. Vaterkonflikte sind auch nicht schlecht.«
Maik stand jetzt ganz nah vor Leon und fuhr mit seiner Hand vor Leons Gesicht hin und her. »Scheibenwischer gefällig? Nur zwei Euro!«
Er stand ohne jede Deckung vor Leon.
Ansatzlos schlug Leon in Maiks Gesicht.
Es krachte. Wahrscheinlich ein Zahn, der aus Maiks Kiefer gebrochen war. Das half ihm, mit dem Schmerz in seinem Handgelenk fertigzuwerden. Fast kam es ihm vor, als hätte der Schlag ihm genauso wehgetan wie Maik.
Maik hielt sich die Hände vors Gesicht.
Leon trat mit aller Kraft zu.
Maik ging zu Boden. Er rollte sich sofort weg aus der Reichweite von Leons Füßen oder Fäusten.
Maik griff in seine rechte Hosentasche und zog das Pfefferspray heraus. Leon war mit zwei Sprüngen bei ihm. Die beiden rangen um die Spraydose.
Johanna baumelte in der Luft und beobachtete die beiden. Sie hatte Mühe, nicht an ihrem Erbrochenen zu ersticken, aber sie konnte die ganze Zeit nur einen Gedanken denken: Ich liebe dich, Leon. Oh verdammt, ich liebe dich so sehr.
Sie hatte das Gefühl, ihm von hier oben Kraft schicken zu können, wie einer Glühbirne, die Energie über ein Stromkabel bekommt, wenn man weit entfernt von ihr einen Schalter drückt.
Zweimal sprühte Maik eine Ladung in Leons Richtung, aber Leon wand sich und wurde von dem Strahl nicht voll getroffen. Er presste die Lippen aufeinander und drehte das Gesicht weg. Doch jetzt befand Maik sich in der Reizstoffwolke. Er war plötzlich von einem konischen Nebel umhüllt und hustete und krümmte sich. Dabei drückte er noch einmal ab, was seine Situation nicht verbesserte.
Leon hielt zwei, drei Meter Abstand. Seine Haut brannte, und seine Augen tränten. Innerhalb von Sekunden sah er alles nur noch wie durch einen milchigen Schleim. Maik hatte sich selbst fast ausgeknockt. Er kniete jetzt gekrümmt am Boden und wurde von einem Hustenkrampf
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