Nachtblind
ist es?«, fragte Lane.
»Ungefähr eine Tonne«, antwortete Lucas.
»Verdammt, Lucas, warum bin immer ich es, der sich mit dem Papierkram rumschlagen muss?«
»Weil du lesen kannst; bei den anderen bin ich mir da nicht sicher. Also, schaff deinen Arsch her. Noch was: Das FBI hat uns gerade per E-Mail ein Papier über Rodriguez und sein Geld geschickt. Ich drucke es aus und hinterlege es bei Lester. Nimm es mit zum County-Staatsanwalt und prüf nach, ob es irgendwas gibt, das, ehm, du verstehst schon …«
»Was?«
»Scheiße, ich weiß auch nicht. Korreliert oder so was.«
Als er das Gespräch mit Lane beendet hatte, griff er zum Telefonbuch, suchte die Nummer von Brown’s Hotel heraus, wählte sie und fragte nach India. Man holte sie an den Apparat. Lucas identifizierte sich und sagte: »Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«
»Ich bin bis sechs Uhr hier.«
»Okay, ich komme vorbei.«
Er legte auf, ging mit dem Ausdruck des FBI-Papiers zum Morddezernat und gab es Lester. »Haben Sie die Fotos von Rodriguez vervielfältigen lassen?«, fragte er.
»Ehm, ja … Ich glaube, sie sind unten beim Identifizierungsdezernat. Die Jungs dort erledigen das.«
Lucas ging zum ID. Der Fotospezialist hieß Harold McNeil und war ein früherer Streifenpolizist, der keine Lust mehr gehabt hatte, in kalten Streifenwagen herumzuhängen – und sich mit einer Lüge den Foto-Job erschlichen hatte: Die Fotografie, hatte er behauptet, sei sein langjähriges Hobby, obwohl er eine Kleinbildkamera nicht von einem tibetanischen Jak unterscheiden konnte. Er las ein Buch mit dem Titel Wie man übers Wochenende fotografieren lernt , spielte ein bisschen mit den Kameras des Dezernats herum, und nach einer Woche oder so war er ein besserer Fotograf als sein Vorgänger und durfte den Job behalten.
Er hatte zwei gute Porträtaufnahmen von Rodriguez: eine frontale und eine im Profil.
»Haben Sie ein paar andere Köpfe, die ich zusammen mit diesen da einigen Leuten vorlegen kann?«, fragte Lucas.
»Ja.« McNeil drehte sich um, zog die untere Schublade seines Aktenschrankes auf und nahm eine Hand voll Fotos heraus. Sie stellten gemeinsam ein Set aus den Fotos von sechs Männern zusammen, darunter auch Rodriguez. Lucas steckte die Fotos in die Tasche.
»Ich bringe sie zurück«, versprach er.
»Das sagen alle, und keiner tut’s«, sagte McNeil.
Lucas holte seinen Mantel und ging hinüber zum Brown’s. Die kalte Luft tat ihm gut, und das Gehen auch. India stand hinter dem Empfangspult und lächelte ihm entgegen.
»Haben Sie mal einen dieser Männer zusammen mit Sandy Lansing gesehen?« Lucas breitete die Fotos auf dem Pult aus. »Wie Sie sehen, sind es zwei Aufnahmen von jedem Mann.«
India nahm sich Zeit, die Fotos zu betrachten. Eine andere Frau kam dazu und fragte: »Was ist los?«
»Polizei«, erklärte Lucas. »Wir suchen nach einem Mann, mit dem Sandy Lansing in letzter Zeit vielleicht mal ausgegangen ist.«
»Ich hab sie ein paar Mal mit einem Mann gesehen«, sagte die andere Frau.
Sie stellte sich dicht neben India, und die beiden sahen sich die Fotos gemeinsam an. Dann schüttelte India langsam den Kopf. »Ich glaube nicht«, sagte sie schließlich. »Der Typ da vielleicht … Nein, doch nicht.«
»Nein, ich glaub auch nicht, dass ich den mal gesehen hab. Sieht aber gut aus, der Typ. Wenn man ihn in ’nen Anzug stecken würd’ …«
»Ich bin jetzt doch sicher, dass ich ihn nicht kenne«, sagte India. »Er sieht ein bisschen ordinär aus.«
»Stimmt«, bestätigte nun auch die andere Frau endgültig. Sie sah Lucas an. »Ich kenn keinen von den Typen da.«
Lucas sah sich das Foto an, über das die beiden diskutiert hatten. Ein honigblonder Weißer, rundes Gesicht, aber ohne Rodriguez’ Pausbacken. Keinerlei Ähnlichkeit mit Rodriguez.
»Danke«, sagte er.
Fehlschlag. »Strikeout« nennt man das beim Baseball …
Zurück im Büro fand er eine Notiz vor, er solle Tim Long beim Bezirksstaatsanwalt anrufen. Er tat es. »Von der Finanzverwaltung ist nichts zu erwarten«, sagte Long. »Die Leute dort sagen, wir sollen ihnen eine Kopie der Unterlagen schicken, wenn wir auf irgendwas Handgreifliches stoßen, das wie verheimlichtes Einkommen aussieht. Sie möchten keinen Ärger mit Beschwerden kriegen, wenn sie sich auf einen Steuerzahler stürzen, mit dem es bisher nie Probleme gegeben hat. Vor zwei Jahren hat man nach dem Zufallsprinzip bei Rodriguez eine Steuerprüfung durchgeführt, und alles hat
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