Nachtblind
Rodriguez’ Verhalten ab. Er weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind. Wir werden ihn den Rest des Tages über im Auge behalten. Und morgen … mal sehen. Vielleicht gehe ich einfach zu ihm hin und rede mit ihm. Nehme ihn vielleicht vor laufenden Kameras fest, schleppe ihn her, lasse ihn dann wieder laufen. Bringe ihn aus der Fassung.«
»Sagen Sie mir rechtzeitig Bescheid.«
Lucas ging zu seinem Büro, setzte sich vor den Schreibtisch, legte die Füße auf eine herausgezogene Schublade und dachte über alles nach, und dann, zehn Minuten später, machte er sich auf den Weg zum Morddezernat, wo er Lester antraf.
»Haben Ihre Leute, als sie damals Sandy Lansings Haus durchsuchten, irgendwelche Fotos gefunden? Fotoalben oder so was?«
»Ein paar Dutzend Fotos, ja – aber keine aus jüngster Zeit«, antwortete Lester. »Familienfotos, solches Zeug. Wir haben aber keine Kamera gefunden. Na ja – im Wandschrank im Schlafzimmer lag eine alte Polaroidkamera, aber sie war so alt, dass man wohl kaum noch einen Film für sie bekommt.«
»Videobänder?«
»Sie hatte einen VCR-Recorder und ein paar Bänder, aber das waren alles Spielfilme, darunter auch einige billige Pornos. Keine Videokamera.«
»Wie hat diese Frau nur ihr Leben gestaltet? Kein Mensch kommt doch heutzutage mehr ohne Fotoapparat oder Videokamera aus …«
»Sie ist zu Partys gegangen«, sagte Lester. »Und in Bars. Soweit wir feststellen konnten, war das dann aber auch schon alles. Sie ging an jedem Abend ihres Lebens aus. Dreimal in der Woche ging sie tagsüber in ein Fitness-Studio. Sie hatte rund sechs Bücher, ebenso viele Musik-CDs und eine Kompakt-Stereoanlage für höchstens zweihundert Dollar sowie ein mittelgroßes Sony-Fernsehgerät einschließlich Minimaltarif für den Kabelanschluss.«
»Wir müssen ihre Verbindung zu Rodriguez noch besser nachweisen«, sagte Lucas.
»Wir sollten es vom anderen Ende her angehen«, sagte Lester. »Diese junge Frau war ja irgendwie seltsam. Hatte, soweit wir wissen, kein anderes Interesse, als abends auszugehen. Hatte eine Million Kleider, fünfzig Paar Schuhe, eine große Sammlung Modeschmuck … Larry Martin hat das Fitnesscenter unter die Lupe genommen und rausgefunden, dass die Kunden dort Magnetkarten zum Einchecken benutzen. Sie ist montags, mittwochs und freitags hingegangen, und sie hat nicht mehr gemacht, als an einer Gruppengymnastik von fünfundvierzig Minuten Dauer teilzunehmen, die das Ziel verfolgt, den Hintern in guter Verfassung zu halten. Sie war also nicht mal an echtem Körpertraining interessiert. War nicht an Musik, an Fernsehen, an Lesen interessiert – an nichts als Partys.«
»Und hatte keine Fotos.«
»Nicht viele«, sagte Lester.
»Haben Sie sich die Pornos angesehen?«
»Nein, aber Larry hat es getan. Sie trat nicht darin auf. Und ansonsten handelte es sich um das übliche Wichserzeug aus Kalifornien. Dampfende Badewannen, Swimmingpools, Blow Jobs.«
»Oho … Haben Sie sich schon mal gefragt, warum wir in Minnesota wohnen und nicht in Kalifornien?«
»Damit wir uns mit diesem Scheißdreck nicht rumschlagen müssen«, knurrte Lester.
»Dumme Ausrede«, sagte Lucas. Er stand auf und streckte sich.
»Irgendwie scheint’s Sie irgendwo zu jucken, hmmm?«
»An dieser Stelle sollten wir das Gespräch abbrechen.«
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit, als auf den Straßen draußen die Rushhour einsetzte, meldete sich Hunger bei Lucas; aber dann rief der Gop an, der zur Bewachung Rodriguez’ abgestellt war.
»Das ist ein echt aufregender Job hier«, sagte der Cop. »Ich wollte, ich könnte immer Dienst in Zivil machen und auf Fußgängerbrücken rumstehen.«
»Rufen Sie an, um sich bei mir zu bedanken, oder was ist los?«, fragte Lucas.
»Ein geschniegelter Typ ist in Rodriguez’ Büro aufgetaucht. Er hat eine Aktentasche dabei, noch dicker als mein Schwanz, und die beiden fangen an, Papiere durchzusehen. Der Stenz schiebt unserem Mann immer wieder Papiere zu. Ich kann nicht erkennen, worum es geht, weil ich nur die Hemdsärmel der beiden sehen kann. Nach einer Stunde steckt der fremde Typ die Papiere zurück in seine Aktentasche und kommt raus, und Rodriguez wirft seinen Computer an, und ich denke, er läuft mir nicht weg, und vielleicht sollte ich den feinen Pinkel mal kurz im Auge behalten …«
»Und Sie sind hinter ihm her, und dann war Rodriguez verschwunden«, ergänzte Lucas wütend.
»Nein, nein. Ich habe ihn in diesem Moment im Blickfeld.
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