Nachtblind
ihm. Das lag vor allem an Jaels Verhalten: Sie war in keiner Weise gehemmt beim Sex, aber es kam ihr dabei nicht besonders darauf an, Lucas Freude zu bereiten oder seine speziellen Wünsche zu erfüllen. Sie wollte ihren Spaß haben und überließ es gleichzeitig Lucas, seinen Spaß zu finden, was auch stets gelang. Und gerade dieses Verhalten gefiel ihm. Sie praktizierten im wahrsten Sinne des Wortes ungezwungenen Sex.
Er würde also morgen mit Weather zu Mittag essen; irgendwie hing ein Hauch von Krisensitzung über diesem Treffen. Wenn morgen nichts Wesentliches geschah, würde es wohl nie mehr eine Entwicklung in ihrer Beziehung geben. Eine Gelegenheit tat sich auf. Er konnte sie ergreifen oder sausen lassen, und eigentlich wollte er sie ja ergreifen, aber vielleicht ergab sich ja doch die Möglichkeit, es noch eine Woche mit Jael zu treiben … Vielleicht sogar zwei Wochen?
Er dachte an den legendären Spruch, der unter seinen Highschool-Klassenkameraden kursierte, die sich für das Priesterseminar in St. Augustine entschieden hatten: »Bitte, lieber Gott, mach mein Herz rein … aber noch nicht gleich.«
Dann war da noch Catrin, die sich möglicherweise zu einem noch ernsteren Problem als Jael entwickelte. Sie zerrte an ihm; der Gedanke ließ ihn nicht los, dass ein Zusammenleben mit ihr, sofern sich die Beziehung mit Weather nicht wieder einrenkte, vielleicht funktionieren könnte. Sie forderte seine Neugier heraus; vor zwanzig Jahren hatte er sie sehr gemocht, und damals hätte sich durchaus etwas Ernstes daraus entwickeln können. Und wenn er jetzt so darüber nachdachte, fragte er sich, ob diese Beziehung vor so langer Zeit nicht einer der Gründe dafür war, dass er nie geheiratet hatte. Die Erfahrung mit Catrin hatte ihn gegen eine Heirat immun gemacht. Auch das war eine Gelegenheit gewesen, und er hatte sie nicht genutzt.
Er steuerte den Porsche in die Auffahrt zur I-94, raste um die Kurve, an einem Pontiac Firebird vorbei, und er erkannte, dass sein Gehirn langsam genug davon hatte, in Kursivschrift zu denken. Er musste eine Entscheidung treffen.
Aber … Wenn er noch eine Woche – oder zwei? – mit Jael herausschlagen könnte, wäre er dann glücklich? War es überhaupt sein Bestreben, glücklich zu sein?
»Verdammte Scheiße«, sagte er laut vor sich hin. Aber so ganz ernst meinte er es nicht. Der Tacho zeigte 125, als er auf der fast leeren Interstate die Kreuzung mit der Snelling Avenue passierte. Dreißig Sekunden später raste er an einem Streifenwagen auf der Gegenfahrbahn vorbei. Die Blinklichter auf dem Dach des Wagens zuckten auf, aber Lucas grinste nur. Er bog in die Abfahrt Cretin-Vandalia ein, hielt sich dann links, fuhr zu seinem Haus.
Die Cops im Streifenwagen hatten keine Chance.
Um zehn am Morgen rief ein Cop an und berichtete, dass Olson sich in Bewegung gesetzt hatte. »Wir haben keine Ahnung, was er vorhat. Er drehte zwei Runden auf den Schnellstraßen in St. Paul. An der Abzweigung White Bear Avenue hielt er mal an einer Tankstelle.«
»Wie nahe kam er dem Highland Park?«
»Er fuhr von der I-94 über die I-35E auf die I-494, kam also direkt an den zu Spooners Haus führenden Ausfahrten an der Randolph Avenue oder der Seventh Street vorbei. Wenn er in eine davon abgebogen wäre, hätten wir uns sofort gemeldet –aber er fährt seelenruhig weiter.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte Lucas.
Weather rief an, als er gerade unter der Dusche stand. »Ich habe ein Problem«, sagte sie.
»Kein Mittagessen?«, fragte er, und Wasser tropfte von seinem Körper auf den Boden im Flur.
Sie hörte offensichtlich seine Enttäuschung. »Es tut mir Leid, aber diese … diese Sache … ist nun mal passiert, und ich muss damit fertig werden.«
»Das klingt nicht nach einem medizinischen Hintergrund«, sagte Lucas.
»Ist es auch nicht. Lucas, ich habe mich … verdammt, wir müssen uns zusammensetzen und diese Sache ausdiskutieren … Eines aber vorweg: Ich hatte seit unserer Trennung keine sexuelle Beziehung.«
»Wäre nach unserer Beziehung ja auch nur enttäuschend für dich gewesen …«
»Kannst du nicht einmal den Mund halten?«, fauchte sie. »Kannst du nicht mal für eine Sekunde deinen verdammten Mund halten?«
»Okay, okay«, sagte er.
»Ich hatte keine sexuelle Beziehung, aber da war dieser Arzt …«
»Der Franzose?«
»Du hast davon gewusst?«
»Ich wusste, dass du mit einem Franzosen liiert warst.«
»Was heißt liiert? Ich bin ein
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