Nachtblind
deiner Sondergruppe?« Sie war eine attraktive Frau Anfang dreißig, dazu auch noch eine echte Kämpfernatur. Lucas und sie hatten einmal eine kurze, intensive Affäre gehabt, die jeder im Dezernat damals als unvermeidlich und überfällig betrachtet hatte. Nach einigen Monaten hatten sie die Beziehung in gegenseitigem Einvernehmen und auch zur gegenseitigen Erleichterung beendet.
»Ja, zumindest für einige Zeit«, antwortete Lucas.
»Sehr gut. Im Moment bin ich damit beschäftigt, weitere Teilnehmer an der Party aufzustöbern – ich wette, es fehlen uns noch mindestens vierzig Leute –, aber ich komme nur mühsam voran. Ich bin froh, wenn ich diesen Krempel hinschmeißen kann.«
»Du könntest also was anderes in Angriff nehmen? Sofort?«
»Das könnte ich, wenn du es in Frank Lesters Ohr flüsterst«, sagte Marcy.
»Erinnerst du dich an Trick Bentoin?«
Sherrill war nicht begeistert, dass sie Bentoin festnehmen sollte, aber wenn sie es tat und ihn an die Staatsanwaltschaft über stellte, war Del für die Fortsetzung seiner Undercoverarbeit frei.
»Ich darf danach am Alie’e-Fall mitarbeiten, wenn ich es tue?«
»Wir alle arbeiten danach am Alie’e-Fall«, sagte Lucas. »Wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit.«
Sherrill lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und musterte ihn eindringlich.
»Was ist?«, fragte er.
»Du hast irgendwas vor, ich seh’s dir an. Du hast dich ganz toll … rausgeputzt.«
»Ich treffe eine alte Freundin zum Lunch«, sagte Lucas. Es hatte keinen Zweck, es zu leugnen. Sherrill hatte während ihrer Affäre gelernt, in ihm wie in einem offenen Buch zu lesen.
»Gut aussehende Frau, nehme ich an.« Sie lächelte.
»Das weiß ich nicht. Ich habe sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wow … Was ist passiert? Ist sie wieder hierher gezogen?«
»Nein, sie wohnt im Süden, irgendwo unten am Mississippi.«
Und sie konnte im Buch seiner Gedanken lesen. Sie lehnte sich vor, sah ihn ernst an. »Sie ist verheiratet, nicht wahr?«
Er hob die Schultern. »Sie ist nicht ganz unverheiratet, wie ich es verstanden habe. Nun hör aber mal, wir treffen uns ja nur zum Lunch …«
»O Gott. Zerstör dieser Frau nicht ihr Leben, Lucas.«
Er war beleidigt, versteifte sich. »Keine Angst, mach ich nicht. Und du holst Bentoin, okay? Ruf mich an, wenn du ihn festgenommen hast.«
»Lucas …« Jetzt noch ernster. »Lucas, Mann, sie ist in deinem Alter, sie ist verheiratet, sie ist im gefährlichen Alter. Ihr Leben könnte aus den Fugen geraten. Ich kenne dich doch und sehe an deinem Verhalten, was du vorhast.«
»Hol Bentoin.« Er drehte sich um und ging. Im Flur murmelte er »blöde Kuh« vor sich hin, sah dann auf die Uhr. Noch genug Zeit für ein anderes Vorhaben.
Carl Knox erlebte einen frohen Sonntagmorgen, indem er wohlgefällig einen gestohlenen Kubota-Traktor 2900 mit Frontlader und am Heck montierter Baggerschaufel betrachtete; ein Rasenmäher als Zusatzgerät stand vor dem Traktor auf dem Anhänger. Während Carl dies tat, redete ein sommersprossiger, strohhaariger, empörter Dieb namens Roy auf ihn ein, sprach von den Spezialreifen, praktisch neu – Herrgott, die verdammte Maschine hatte doch erst 145 Betriebsstunden auf dem Buckel, und sie kam direkt vom besten Golfplatz im südlichen Minnesota. Was sollte dann dieses Scheißangebot von zweitausend Dollar?
Carl hörte ihm nicht zu, weil seine Gedanken zu einem Cree-Indianer namens Louis Arnot oben in Kanada abschweiften, der ihn angerufen hatte, sich doch mal nach eben einer solchen Maschine umzusehen. Arnot würde ihm zwölftausend US-Dollar bezahlen, sofern Carl den Traktor in Kenora, Ontario, abliefern konnte, was durchaus möglich war, aber seine Leute würden die Ident-Nummern noch ändern müssen, und er musste sich um die entsprechenden Papiere kümmern, was nicht ganz einfach war, weil er seit einigen Jahren kein Kubotageschäft mehr gemacht hatte.
Seine Tochter verrichtete ebenfalls Sonntagsarbeit. Sie hatte sich im Bürotrakt mit Papierkram beschäftigt, kam jetzt jedoch in die Verkaufshalle gestürzt. »Die Cops kommen.«
»Oh, oh«, sagte Carl. Er gab der Tochter ein Zeichen, wieder zurück ins Büro zu gehen, schaute dann auf den Traktor. »Wie heiß ist dieses Ding?«
»Bisher weiß noch gar keiner, dass es überhaupt verschwunden ist«, sagte Roy nervös.
Davenport kam um die Ecke des Gebäudes, noch fünfzig Meter entfernt. Knox sagte ruhig: »Da kommt er. Schau nicht
Weitere Kostenlose Bücher