Nachtblind
falsche Richtung fährt.«
»Gut, dass du daran denkst; wir sollten es im Auge behalten.« Elle schwieg einen Moment, sagte dann: »Ich werde in Zukunft auch an Sandy Lansing denken. Und für sie beten.«
Spät in dieser Nacht, als er auf dem Bettrand saß und die Socken auszog, erinnerte sich Lucas an Trick Bentoin – Trick den Spieler, den Mann, der nicht tot war, der nicht von einem ganz frisch in Stillwater einsitzenden Lebenslänglichen umgebracht worden war. Lucas hatte vergessen, den Bezirks Staatsanwalt anzurufen, und Del war es offensichtlich nicht anders ergangen; sie hatten während des Tages mindestens ein Dutzend Mal miteinander gesprochen, die Sache aber nicht wieder erwähnt.
Lucas stieß einen kurzen Fluch aus. Die Leute bei der Staatsanwaltschaft würden wegen der Verzögerung stocksauer sein. Obwohl die Sache im Grund ja eigentlich lustig war.
Als er in den Schlaf abdriftete, dachte er jedoch nicht an Trick. Er dachte darüber nach, was er morgen zum Lunch an ziehen sollte.
Zum Lunch mit Catrin.
Noch später in dieser Nacht, nicht weit von Lucas entfernt, wenn auch jenseits des Mississippi in Minneapolis, hörte Jael Corbeau ein Kratzen an ihrer Haustür. Sie fuhr hoch, riss die Augen auf. Sie war erschöpft gewesen, hatte aber trotz einer Tablette keinen Schlaf finden können. Hatte an Alie’e denken müssen … Amnon hatte gesagt, sie, Jael, sei völlig verblendet, Alie’e sei nichts als eine bereitwillig angenommene Gelegenheit für Jaels Wunsch nach einem perversen Vergnügen – nach einem lasziven, verruchten, dem Modetrend entsprechenden Liebesverhältnis. Nach einer schönen Gespielin. Und Jael fürchtete, es könnte zutreffen, dass sie oberflächlich und zügellos war. Trendy …
Das Kratzen an der Tür hatte sie aus diesem depressiven Gedankenzyklus gerissen. Sie erkannte sofort, was das Geräusch zu bedeuten hatte: Jemand versuchte, in ihr Haus einzudringen.
Jael wohnte in einem kleinen Haus an der Südseite der Mississippischleife, nicht weit vom Metrodom entfernt. Ihr Schlafzimmer lag im ersten Stock; im Erdgeschoss befand sich ihre Werkstatt – ein Raum mit der Töpferscheibe, ein Raum für die Glasurarbeiten, ein Raum mit den beiden großen elektrischen Brennöfen und ein Lagerraum, in dem sie den Ton aufbewahrte und die vorbereitenden Arbeiten erledigte. Die Arbeiten, die ihr zu einer kräftigen Arm- und Schultermuskulatur verholfen hatten. Die Cops hatten danach gefragt. Einer hatte ihre Hand genommen und verlangt, sie solle zudrücken. Sie hatte es gemacht, und er hatte so getan, als müsse er vor Schmerz auf jaulen. Die Cops hatten versucht, sie aufs Kreuz zu legen. Sie einzuschüchtern. Es hatte nicht funktioniert.
Sie hatte keine Angst vor den Cops, und sie hatte auch keine Angst, als sich jetzt jemand an ihrer Tür zu schaffen machte. Während der schlimmsten Jahre des Crackkonsums hatte sie alle ein bis zwei Wochen einmal nachts bedrohliche Geräusche gehört. Aber das Crack war inzwischen aus ihrem Körper gewichen, war verglüht – sie hatte seit mehr als einem Jahr keines mehr genommen.
Stille …
Sie rollte sich aus dem Bett, kniete wie zum Gebet davor nieder, griff unter die Ecke der Matratze. Ihre Finger spürten ihn sofort – den kalten Stahl des Laufes. Sie zog die Waffe heraus, eine alte, großkalibrige Winchester Pumpgun. Leise schlich sie im Dunkeln zum Badezimmer, zum Schiebefenster über der Badewanne. Sie löste den Verschluss, schob es hoch.
Unten, auf der kleinen Terrasse, kauerte ein ganz in Schwarz gekleideter, kräftig gebauter Mann vor der Haustür und fummelte am Schloss herum. Die Terrasse war von Büschen flankiert, sodass man den Mann von der Straße aus nur sehen konnte, wenn man direkt vor dem Eingang stand und den Plattenweg hinaufsah.
Sie zischte leise, aber sehr deutlich: »Heh, Sie da unten!«
Die Gestalt erstarrte, fuhr herum, sah zu ihr hoch. Im Licht der benachbarten Straßenlampen glänzte der weiße Schimmer seines Gesichtes wie der Halbmond hinter einem Wolkenschleier, bleich, verschwommen.
»Ich habe eine Shotgun, Kaliber zwölf.« Sie pumpte, lud durch, und das Repetieren des alten Stahlverschlusses erzeugte den präzisen »Tschick-Tschick-Laut«, den man aus tausend Filmen kennt. »Sie ist auf Ihren Kopf gerichtet.«
Der Halbmond des Gesichts verschwand. Der Mann drehte sich blitzschnell um, sprang von der Terrasse in die Büsche, hinaus auf die Straße, rannte mit wilden Bewegungen der Beine und Arme
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