Nachtblüten
und da haben wir Signora Hirsch auf der Treppe überholt.«
»Hat sie Ihnen erzählt, wo sie gewesen ist?«
»Ja, bei ihrem Bruder. Den besuchte sie hin und wieder nachmittags auf ein Stündchen. Ich glaube, in letzter Zeit war sie öfter dort.«
»Hat sie je seinen Namen erwähnt?«
»Nicht daß ich wüßte, nein.«
»Und kam er auch manchmal hierher?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn jedenfalls nie gesehen. Aber was ich Ihnen eigentlich noch sagen wollte – also kaum, daß wir oben waren, ging das Telefon. Signora Hirsch war am Apparat, völlig außer sich, und sagte, es sei jemand in ihrer Wohnung gewesen. Den Verdacht hatte sie nicht zum ersten Mal. Mein Mann ging hinunter, und als er nicht gleich wiederkam, folgte ich ihm. Sie war in einem furchtbaren Zustand. Ich fragte sie, ob sie irgendein Beruhigungsmittel hätte. Mir war immer schon aufgefallen, daß sie beim Treppensteigen oft pausieren mußte, und ich machte mir Sorgen ihretwegen… Jedenfalls nahm sie dann auch irgend etwas ein, aber zu Bett gehen wollte sie nicht. Sie sagte, sie bliebe lieber auf dem Sofa im Wohnzimmer, wo ihr der Fernseher Gesellschaft leiste. Ich riet ihr, Sie sobald wie möglich aufzusuchen, und die Signora versprach es. Das war das letzte Mal, daß ich sie gesehen habe.«
»Und irgendein Fremder ist Ihnen in letzter Zeit nicht im Treppenhaus aufgefallen?«
»Nein, nie. Die Wohnung unter uns steht im Moment leer, und überhaupt ist das ein sehr ruhiges Haus, abgesehen von Signor Rinaldis Möbeltransporten zwischen dem Laden und seiner Wohnung, wo er manchmal Sachen lagert, weil er unten so wenig Platz hat. Aber ich habe bestimmt nie irgendwelche Fremden im Treppenhaus oder auf dem Flur im zweiten Stock herumlungern sehen.«
Der Maresciallo sah auf die Uhr. »Diesen Rinaldi finde ich um die Zeit vermutlich in seinem Laden?«
»Nein, heute nicht. Als ich bei ihm war und wir berieten, ob man die Carabinieri rufen solle, wollte er gerade zusperren. Er betreibt sein Geschäft nämlich ganz allein, wissen Sie, und wenn er neue Waren einkauft oder eine Antiquitätenmesse besucht, dann muß er den Laden schließen, bis auf die seltenen Male, wo er jemanden findet, der ihn vertritt. Heute ist niemand da.«
»Dann muß ich eben wiederkommen. Aber sagen Sie, wie war das, als Signora Hirschs Mutter noch lebte? Bekamen sie da manchmal Besuch?«
»Oh, das war lange vor unserer Zeit. Wir sind erst seit zwei Jahren hier, und vorher wurde diese Wohnung, genau wie die darunter, immer nur kurzfristig vermietet – meist an Ausländer, Akademiker, die ein Studienjahr in Florenz verbringen, oder so. Ich weiß das von Signora Hirsch, die damals sagte, sie sei froh, daß wir die Wohnung genommen hätten, weil sie nun dauerhafte Nachbarn und ein bißchen Anschluß bekäme. Was – ich sollte das wohl nicht fragen, aber – ich meine, hatte ich recht mit der Vermutung, daß sie nicht ganz gesund war? Hatte sie was mit dem Herzen?«
»Viel kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Die Leiche muß erst obduziert werden, aber die Zeitungen werden darüber berichten, und darum sage ich es Ihnen lieber gleich: Es sieht aus, als sei sie überfallen worden.«
»Überfallen? Sie meinen, es hat sich tatsächlich jemand bei ihr eingeschlichen? Sie ist doch nicht etwa ermordet worden?«
»Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist.«
»Aber sind wir dann hier noch sicher? Ich meine wegen Lisa? Verzeihen Sie… das ist der Schock, ich fange erst langsam an zu begreifen.« Ihre Hände zitterten, und sie versuchte ihre Nervosität zu überspielen, indem sie so tat, als räume sie das Wohnzimmer auf, das bereits tadellos aufgeräumt war. »Vielleicht möchten Sie sich setzen… Ich muß mich hinsetzen. Mir ist ein bißchen schwummerig. Entschuldigen Sie.«
Damit sank sie in einen Sessel, und der Maresciallo stand neben ihr und legte seine große, warme Hand beruhigend auf ihre Schulter. »Kommt Ihr Mann bald nach Hause?«
»Er kommt nie vor neun.«
»Rufen Sie ihn an und sagen Sie ihm, er soll heimkommen. Ihre Tochter ist hier?«
»Sie ist in ihrem Zimmer und macht Hausaufgaben.«
»Gut, und Sie beschäftigen sich am besten mit dem, was Sie normalerweise um diese Zeit tun würden.«
»Ich sollte das Abendessen vorbereiten.«
»Dann machen Sie das. Sie haben nichts zu befürchten. Im zweiten Stock wimmelt es von unseren Leuten, und ich bleibe auf jeden Fall auch da, bis Ihr Mann nach Hause kommt. Ich werde später noch mal raufkommen und nach Ihnen
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