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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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eine Ecke vom Palazzo Pitti, dessen helles Gemäuer übergossen war vom Widerschein der untergehenden Sonne.
    Auf einmal krampfte sich sein Magen zusammen, und ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. ›Ich muß die Feuerwehr rufen.‹ Ein flüchtiger Gedanke, auf den er nicht reagierte, geschweige denn, daß er danach gehandelt hätte. Er mußte sich zwingen, seinen Weg fortzusetzen.
    Einerseits drängte es ihn loszurennen, andererseits hätte er sich am liebsten gar nicht von der Stelle gerührt, und so marschierte er denn stoischen Schrittes vorwärts, das ausdruckslose Gesicht hinter der dunklen Brille versteckt. Er fühlte sich wie von einer Wattewolke umhüllt, die jedes Geräusch und jede Bewegung verschluckte. Gleichzeitig aber nahm er wahr, wie lebhaft und geräuschvoll es um ihn her zuging. Ein ausgelassenes Kind, das ihm auf einem Dreirad entgegenkam, eine Mutter, die mit erhobener Hand hinterdreinlief. Ein Junge auf einem Moped, das nicht anspringen wollte, umwabert von einer Wolke blauer Auspuffgase.
    Wieder durchzuckte ihn ein Gedanke: ›Es hat keinen Sinn, mir Vorwürfe zu machen.‹ Er kannte sich mit der Numerierung nicht aus, aber die Schaulustigen, die sich vor einem Antiquitätengeschäft auf der linken Straßenseite versammelt hatten, zogen ihn magisch an. Erst als eine der Frauen aus der Gruppe sich umdrehte und den Mann neben sich anstupste und auf ihn zeigte, löste sich die Wattewolke auf. Das Moped brauste knatternd davon, die Mutter stieß einen Schrei aus, und der Maresciallo stellte sich dem Dreirad in den Weg, das direkt auf ihn zurollte.
    »Oh, danke, Maresciallo! Vielen Dank – du kleiner Schlingel! Warte nur, bis wir nach Hause kommen!«
    Als er vor der Nummer 5 ankam, sagte die Frau, die auf ihn gezeigt hatte: »Wir haben 112 angerufen. Wir dachten, es käme ein Streifenwagen.«
    »Das haben Sie ganz richtig gemacht. Die Streife wird gleich hier sein.«
    »Erkennen Sie mich denn nicht, Maresciallo? Linda Rossi.«
    »Doch. Doch, ich erinnere mich.« Er erinnerte sich nicht, verstand aber den Zusammenhang. »Sie wohnen also über der Signora Hirsch, nicht wahr?«
    »Im obersten Stock, ja. Ich hoffe, ich habe das Richtige getan, aber ich war so in Angst. Wissen Sie, die Signora…«
    »Kommen Sie, wir gehen hinein.«
    Das Treppenhaus war eng, aber in gutem Zustand. Allerdings ziemlich dunkel. Der Maresciallo hatte seine Sonnenbrille abgenommen, damit er wenigstens den gelblichen Schein einer Glühbirne in der kleinen Deckenlampe sehen konnte, wenn sonst schon nicht viel zu erkennen war. Die Wohnungstür im zweiten Stock war kanneliert und hatte glänzende Messingbeschläge. Der Verwesungsgeruch war unverkennbar, und die Frau neben ihm würgte.
    »Entschuldigen Sie, ich kann nicht…«
    »Gehen Sie nach oben in Ihre Wohnung.«
    Sie preßte sich die Hand vor den Mund und huschte die Treppe hinauf.
    Der Maresciallo nahm die Tür unter die Lupe. Soweit er feststellen konnte, hatte sie nicht einen Kratzer, aber man würde durch ein Fenster einsteigen müssen, um sie von innen zu öffnen. Alles übrige war Sache der Spurensicherung. Eine übelriechende Flüssigkeit sickerte unter der Tür durch. Er alarmierte die Feuerwehr.

4
    S ie lag auf dem Rücken, mit dem Kopf zur Tür, ein Bein auf dem gefliesten Boden ausgestreckt, das andere unter dem Körper angewinkelt. Der linke Arm ragte zur Seite, die rechte Hand lag verkrampft auf ihrer Brust. Das Kinn war hochgereckt, als hätte sie sehen wollen, wer hinter ihr zur Tür hereinkam, aber das Gesicht war wie eine dunkel schillernde Maske, die in stiller Konzentration zu vibrieren schien. Besonders deutlich regte es sich in dem klebrigen Schleim unter den Augenlidern, wo sich bereits neues Leben aus dem erloschenen nährte. Fliegen schwirrten böse summend auf, als der Maresciallo die Tür so weit es ging aufstieß und sich in den Flur zwängte. Bevor sie sich wieder niederließen, sah er, daß die bläulichen Lippen zu einer grotesken Grimasse verzerrt waren und die Wunde am Hals von Maden wimmelte.
    Der Maresciallo stieg über den ausgestreckten Arm hinweg und machte einen Bogen um das geronnene Blut, das sich an der Fußleiste sammelte, sowie um das dünne, zähfließende Rinnsal, das auf den Treppenabsatz hinaussickerte. Die Blutlache war ungewöhnlich groß. Auf dem Boden neben der offenen Küchentür lag ein Tranchiermesser.
    In den wenigen ruhigen Minuten, die ihm zwischen dem Eintreffen der Feuerwehr, die die Wohnung geöffnet hatte, und

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