Nachtblüten
hergeführt hatte, und wandte sich zum Gehen, zurück in sein kleines Büro, zu gestohlenen Mopeds und entlaufenen Katzen.
»Ausgezeichnet. Sehe keinen Grund, warum Sie den Fall nicht übernehmen sollten – ist schließlich Ihr Revier, da kennen Sie doch bestimmt die Nachbarn, wertvolle Zeugen und so weiter. Also an die Arbeit, Maresciallo.«
Seufzend stieg der Maresciallo die Treppe zum obersten Stock hinauf. Er hatte nichts dagegen, den Fall zu übernehmen; was ihn bedrückte, war das Gefühl, hinter diesem Vertrauen in seine Fähigkeiten stecke mehr, als ein Dreisekundengespräch rechtfertigen könne. Der Notruf war nach Borgognissanti gegangen, und er ahnte, daß Capitano Maestrangelo seine Hand im Spiel hatte. Die Bemerkung über seinen vertrauten Umgang mit den Nachbarn hatte ihn verraten. Nun, er lag nicht falsch damit. Also auf zu den Nachbarn.
»Ich sollte mich wohl nicht darüber wundern. Wo Sie mit so vielen Leuten zusammenkommen. Aber wir werden nie vergessen, was Sie für uns getan haben.«
»Wie lange wohnen Sie schon hier?«
»Etwas über zwei Jahre. Mein Mann verdient sehr gut. Sie erinnern sich, er ist Architekt – nein, natürlich, wie sollten Sie…«
»Doch, jetzt erinnere ich mich. Er hat damals noch studiert.« Und wirklich erinnerte er sich an das winzige Appartement, in dem der Zeichentisch den meisten Platz eingenommen hatte. »Gehört Ihnen diese Wohnung?«
»Ja… zumindest wird sie uns gehören, wenn wir sie einmal abbezahlt haben.«
»Das freut mich für Sie.« Jetzt fiel ihm auch wieder ein, daß es damals Ärger wegen einer Räumungsklage gegeben hatte, was ihn wiederum an Signora Hirschs anonyme Postkarte erinnerte. »Wissen Sie zufällig, ob auch Signora Hirsch Eigentümerin war?«
»Nein, das weiß ich leider nicht. Sie war sehr nett und freundlich, aber ein bißchen…«
»Reserviert?«
»Das trifft es genau, ja. Reserviert. Nicht der Typ, der im Treppenhaus gern mal ein Schwätzchen hält. Lisa – meine kleine Tochter – sagt, mit ihr habe sie sich viel unterhalten, aber womöglich war sie einem Kind gegenüber ja nicht so befangen.«
»Ah, ja, ich erinnere mich. Die Signora erwähnte, daß Sie arbeiten gehen und daß sie sich manchmal um Ihre kleine Tochter kümmere.«
»Lisa ist zwölf, aber wir lassen sie trotzdem nicht gern allein in der Wohnung. Signora Hirsch tat immer so, als ob Lisa ihr Gesellschaft leiste. Sie wollte kein Geld annehmen dafür, daß sie auf sie aufpaßte. Einmal sagte sie, seit dem Tod ihrer Mutter habe sie doch sonst niemanden mehr, um den sie sich kümmern könne. Maresciallo, sagen Sie mir die Wahrheit. Sie ist tot, oder?«
»Ja, sie ist tot.«
»Ich wußte es. Ich hab’s Signor Rinaldi gleich gesagt, aber er wollte mir nicht glauben – Männer wie er hören grundsätzlich nicht auf das, was eine Frau sagt –, er dachte, ich würde übertreiben, dabei hat es auf seinem Flur weiß Gott schlimm genug gerochen. Er hat den Laden unten im Parterre und wohnt im ersten Stock. Als ob eine so feine Dame wie Signora Hirsch ihren Müllsack hinter der Wohnungstür stehen lassen würde, wenn sie verreist – das war seine Erklärung –, aber er hat sie ja immer geschnitten. Ich glaube, sie sind sich mal ein bißchen in die Haare geraten. Vergessener Müllsack, also wirklich! Oh, ich weiß, es gibt Leute, die bringen so was fertig, aber doch nicht sie – nie im Leben. Außerdem hatte sie gar nicht vor zu verreisen. Sonst hätte sie mir Bescheid gesagt. Freitagnachmittags haben wir nämlich eine feste Vereinbarung, wegen Lisa. Ich bin freischaffende Lektorin und kann die meiste Zeit zu Hause arbeiten, aber manchmal muß ich halt doch in den Verlag, wie heute nachmittag, also habe ich bei ihr geläutet und sah – oh…« Sie hielt sich die Hand vor Mund und Nase, als müsse sie sich immer noch gegen den Gestank wappnen. »Sie war irgendwie in Schwierigkeiten. Ich riet ihr, sich an Sie zu wenden, aber ich weiß nicht, ob sie es getan hat.«
»Doch, sie war bei mir, aber ich habe nicht so recht verstanden, worum es ging. Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Letzten Sonntag.«
»Sind Sie sich da ganz sicher?«
»Absolut. Wir waren über Mittag aufs Land rausgefahren, um Freunde zu besuchen, die dort draußen ein Haus renovieren. Es ist noch längst nicht fertig, aber sie arbeiten jeden Sonntag daran. Mein Mann hilft ihnen ein bißchen, und so treffen wir uns manchmal sonntags zum Picknick. Letzten Sonntag kamen wir erst gegen sieben heim,
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