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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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sehen.«
    »Danke.«
    Als sie ihn zur Tür brachte, rief jemand von unten durchs Treppenhaus: »Maresciallo? Sind Sie das, Maresciallo? Wir haben hier was gefunden, das sollten Sie sich unbedingt mal ansehen.«
    Die Mütze in der Hand, lief er nach unten. Die Männer in Signora Hirschs Wohnung standen vor einem offenen Einbauschrank links vom Eingang. Er hatte offenbar als Garderobe gedient, aber die Mäntel, die dort gehangen hatten, waren zum Großteil von den Bügeln gerutscht, und in der Wand dahinter klaffte ein großes Loch. Staub und Mörtel bedeckte den Stapel Mäntel am Boden des Schranks. Ein achtlos hineingeworfener Handfeger mit rotem Griff war herausgefallen, als man den Schrank öffnete.
    »Da hätten wir des Rätsels Lösung.« Der Staatsanwalt wies mit seinem Zigarillo auf das gähnende Loch in der Wand. »Ich würde sagen, da war ein Safe drin. Die Kerle werden sie bedroht haben, damit sie ihnen die Kombination nennt, aber sie gab sie nicht preis.« Er blickte sich um.
    »Sieht nicht so aus, als ob sie was besessen hätte, das ein Menschenleben wert war. Aber Sie wissen natürlich mehr über das Opfer, Maresciallo.«
    »Auch nicht viel…«
    »Hier sichert die Kriminaltechnik immer noch die Fingerabdrücke. Kommen Sie mit ins Treppenhaus. Da draußen sind sie fertig.« Als sie auf den Flur hinaustraten, senkte er die Stimme. »Ich wünschte, ich könnte mir meinen Zigarillo anzünden. Würde zumindest den Geruch verbessern. Also, sagen Sie mir alles, was Sie wissen.«
    Und der Maresciallo erzählte ihm alles, einschließlich der Geschichte mit dem Küchenmesser, der Postkarte und dem Zigarrengeruch. Der Staatsanwalt nahm sein Zigarillo aus dem Mund, betrachtete es mit leisem Lächeln und steckte es sich wieder zwischen die Lippen. »Von einem Safe hat sie nichts gesagt?«
    »Nein, aber vielleicht wissen die Nachbarn von oben mehr. Bin gleich wieder da.«
    »Ich begleite Sie.«
    »Ich glaube nicht… Die Leute haben ein Kind, wissen Sie… Ein leibhaftiger Staatsanwalt würde die Kleine am Ende bloß einschüchtern.« Falls der Staatsanwalt das für einen Vorwand hielt, so würde er sich letztlich doch lieber als angsteinflößende Autoritätsperson sehen als zu glauben, man unterstelle ihm, daß er vielleicht nicht gut mit Kindern umgehen könne. Jedenfalls ließ er ihn allein nach oben gehen. Signora Rossi hatte sich offenbar wieder gefaßt, denn aus ihrer Küche wehten ihm appetitliche Düfte entgegen.
    Lisa Rossi, die von ihren Schulbüchern aufblickte, hätte man eher für fünfzehn als für zwölf gehalten, aber der Maresciallo vermutete, das sei nur ein Indiz dafür, daß er langsam alt werde. Das Mädchen war hübsch und zierlich, und nur die dick mit Abdeckcreme überschminkten Pickel verrieten, daß sie mitten in der Pubertät steckte. Die Wände ihres winzigen Zimmers waren mit den Postern finster dreinschauender Popstars dekoriert. Eine Menagerie von Stofftieren saß in einer Reihe auf dem Bett.
    »Sie ist ein bißchen komisch, aber ich mag sie.«
    »Inwiefern war sie komisch? Deine Mutter hat dir gesagt, daß sie tot ist, oder?«
    »Ja, aber ich hab im Moment nicht dran gedacht… also, ich mochte sie gern… muß ich das tun?«
    »Was denn?«
    »Über sie reden, als ob es sie nicht mehr gäbe. Ich empfinde das nicht so. Aber bis jetzt kannte ich auch noch niemanden, der gestorben ist.«
    »Schon gut. Du brauchst nicht in der Vergangenheitsform von ihr zu sprechen, wenn du das nicht möchtest. Und solange du dich an sie erinnerst, ist sie in gewissem Sinne auch noch da.«
    »Meine Mutter sagt, sie sei überfallen worden. Mama ist ganz verstört.«
    »Und du? Macht es dir Angst?«
    »Nein. Es ist bloß so ein… komisches Gefühl.«
    »Komisch wie Signora Hirsch? Erzähl mir, warum du glaubst, daß sie komisch war.«
    »Ach, ich weiß nicht… nur daß sie sich halt so alt macht, als ob sie meine Oma sein könnte. Sie redet nie über das, was heute ist, immer nur über Dinge, die vor zig Jahren passiert sind, und über Leute, von denen ich nie gehört habe. Mir macht das nichts aus, bloß so alt ist sie – ich meine, war sie – doch noch gar nicht, oder? Jedenfalls sieht sie nicht so aus, und trotzdem zieht sie sich an wie eine alte Frau.«
    Und hatte er nicht den gleichen Eindruck gehabt? Vielleicht lag es also doch nicht nur an den Möbeln ihrer Mutter. »Lisa, darf ich mich einen Moment auf dein Bett setzen?« Für mehr als ihren Schreibtisch und den Stuhl war kein Platz im Zimmer,

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