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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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sind tatsächlich schon ein ganz schönes Stück gewachsen. Ich schätze, inzwischen sind sie ungefähr einen halben Zentimeter lang – was meinen Sie?«
    »O ja, mindestens, ja…«
    »Aber Sie schauen ja gar nicht hin. Na los, sagen Sie’s ganz ehrlich.«
    Er drehte den Kopf in ihre Richtung und versuchte trotzdem, nicht hinzusehen. »Einen halben Zentimeter, ja, reichlich.« Er wandte sich wieder der reglosen Gestalt mit dem unförmigen Kopfverband zu. In der Seitenstrebe des Bettes war ein Katheter eingehängt.
    »Bis jetzt noch kein Lebenszeichen von dem armen Ding. Ich spreche viel zu ihr und lasse mein Radio laufen. Angeblich hilft das.«
    »Ja.« Es hätte verdammt viel mehr geholfen, wenn er sie von diesen Männern weggeholt hätte, solange sie noch in der Wohnung waren.
    »Sie sollten sie ansprechen, ihren Arm drücken, irgendwas, damit sie merkt, daß Sie da sind. Die Schwestern sagen, sie hat niemanden – sie ist Albanerin, oder?«
    »Ja.«
    »Na, dann hat sie nichts zu lachen, wenn sie wieder zu sich kommt. Die Schwestern haben mir alles erzählt. Man hat sie aus einem fahrenden Auto geworfen, nicht? So was ist schon ein paarmal passiert. Habe ich in den Nachrichten gesehen. Ist Ihnen nicht gut? Sie sind ein bißchen grün um die Nase. Ich hätte gedacht, in Ihrem Beruf wär’ man an so was gewöhnt. Verkehrsunfälle, Morde und so weiter.«
    »Sind… hatten Sie einen Verkehrsunfall?«
    »Ich? Nein, Gehirntumor.«
    »Gehirntumor? Aber Sie sehen so gesund aus, so vital…«
    »Na ja, das Ding ist ja nun auch raus, nicht? Meine Haare sind’s, die mir Sorgen machen. Die Vorstellung, als Friseuse mit kahlem Kopf im Laden zu stehen. Ich meine, gucken Sie mich doch an!« Sie zeigte nach oben, auf den Schlauch, und der Maresciallo tat so, als ob er hinsehen würde. Aus dem Bett neben ihm erklang ein leises, schelmisches Lachen. Verblüfft schauten sie beide Enkeleda an. Ihre Augen standen weit offen. Sie waren dunkelbraun und blickten belustigt auf das Gebilde auf dem Kopf der kahlen Patientin.
    »So ist’s recht, Schätzchen, lach nur mal kräftig. Ich schau doof aus, oder?« Sie deutete auf ihren bizarren Kopfputz und wiederholte: »Doof, nicht?«
    Die Antwort war ein Lallen, das unverkennbar die Worte der Frau wiederholen sollte, gefolgt von munterem Gekicher.
    Der Maresciallo beugte sich vor und drückte auf die Klingel, die am Kopfende ihres Bettes hing.
    »Es sollte sich sofort ein Arzt um sie kümmern.«
    »Dafür werden die Schwestern schon sorgen. Hören wir uns erst mal an, was sie zu sagen hat, bevor die an ihr rumdoktern.« Sie kam näher und beugte sich über Enkeledas Bett. »Wie heißt du denn, Schätzchen? Sag uns deinen Namen, hm? Ich bin Marilena.« Sie zeigte auf sich. »Marilena. Und wer bist du? Du? «
    »En-ke-le-da.«
    »Enkeleda. Das ist hübsch. Sehen Sie, sie kann ihren Arm bewegen.« Der Arm zitterte, und die Hand war schlaff, aber es bestand kein Zweifel, worauf sie zeigte.
    »Doof.« Wieder kicherte sie, und ihre dunklen Augen zwinkerten. Dann ließ sie den Arm sinken, und ihre Miene veränderte sich, während sie mit den Augen den Raum absuchte. »Ma-ma? Ma-ma!«
    »Sie verlangt nach ihrer Mutter, hören Sie? Der Stimme nach ist sie jünger, als die Ärzte sie geschätzt haben. Mach dir keine Sorgen, Herzchen. Die Schwestern werden sich um dich kümmern, und der Maresciallo hier wird deine Mama finden und zu dir bringen. Nein, nein, nicht weinen!«
    Aber die Tränen quollen unaufhaltsam aus den dunklen Augen und liefen ihr über die Wangen. Ihre Rufe wurden schwächer, klangen aber nicht minder verzweifelt. »Mama! Ma-ma!« Die zitternde Hand tastete über ihren Körper, als suche sie etwas. Sie runzelte die Stirn und jammerte wie ein hungriges Kätzchen.
    »Tut’s weh? Das ist nur eine Nadel – nicht anfassen, den Schlauch, Schätzchen. Armes kleines Ding… Tut es so weh?«
    »Tut-es-weh!« Das Mädchen wies mit der schlaffen, zitternden Hand auf die Intubation. »Nix tut-es-weh! Nix tut-es-weh! Ma-ma!« Nun weinte sie richtig, und ihr ganzer Körper erbebte unter schwachen, mutlosen Schluchzern.
    Der Maresciallo stürzte hinaus, vorbei an einer Schwester, die ihm etwas nachrief, aber er hörte nicht.
    »Wo sind die Jungs?«
    »In ihrem Zimmer. Sie haben schon gegessen.«
    »Spielen wohl wieder mit diesem gräßlichen Computer.« Eine Feststellung, keine Frage, denn das irritierende Fiepen von nebenan war nicht zu mißdeuten.
    »Salva, ich bitte dich! Sie haben Ferien.

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