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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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ich hier warten, oder möchten Sie, daß ich mit reinkomme?«
    »Kommen Sie mit.«
    Er schickte ihn mit Namen und Anschrift des Mädchens ins Schwesternzimmer.
    »Hernach warten Sie im Wagen auf mich.«
    Als er den Korridor entlangging und suchend nach rechts und links in die Stationszimmer spähte, stellte sich ihm eine junge Krankenschwester in den Weg und versuchte, ihn mit einem Hinweis auf die Besuchszeiten abzuwimmeln.
    »Ja… danke…« Damit war er an ihr vorbeigeschlüpft und stand im nächsten Augenblick vor dem Zimmer des Mädchens. Ihr Kopf war vollständig bandagiert, aber er wußte, daß sie es war. In dem großen Klinikbett wirkte sie noch kindlicher. Ihr schmächtiger Körper war mit Schläuchen und Drähten gespickt. Sie hatte die Augen geschlossen. Er trat einen Schritt ins Zimmer hinein. Auf dem Bett gegenüber saß eine zweite Patientin, die sich angelegentlich in einem Handspiegel betrachtete. Sie trug einen seidig schimmernden, mit chinesischen Drachen bestickten Morgenmantel. Der Maresciallo starrte sie erschrocken an. Nicht, daß die Drachen ihn erschreckt hätten. Vielmehr heftete er den Blick ganz fest auf diese, um nur den Kopf der Frau nicht ansehen zu müssen.
    »Ich dachte schon, es sei mein Mann, als ich Ihre Schritte hörte. Der schleicht sich manchmal außerhalb der Besuchszeit rein. Sie wissen ja, wie das ist – er arbeitet in einem Restaurant, und während unserer Besuchszeit hat er selbst Hochbetrieb.«
    »Ja…« Er starrte noch intensiver auf die Drachen, bis ihm einfiel, sie könne vielleicht denken, er mustere ihre Figur. Sie war jung und schlank. Der Maresciallo zwang sich, den Blick zu heben und ihr ins Gesicht zu sehen. Sie war hübsch. Stark geschminkt, Lippen so rot wie das seidig schimmernde Negligé. Rasch wandte er sich ab und sah auf das albanische Mädchen hinunter. Enkeleda. Die Frau hinter ihm plapperte unbekümmert weiter. Sie schien sich gar nicht bewußt zu sein, daß man ihr, warum auch immer, die rasierte Schädeldecke abgesägt hatte – so wie man ein Ei köpft –, um sie hinterher mit großen, häßlich schwarzen Stichen wieder anzunähen. Man mußte unwillkürlich an Frankensteins Monster denken. Damit nicht genug, befand sich oben auf dem Schädeldach ein Loch, aus dem durch einen durchsichtigen Schlauch gelbe Flüssigkeit in einen Plastikbeutel sickerte, der mit Pflasterstreifen an ihrem Kopf befestigt war. Mehr noch als die schwarzen Stiche in der roten Wunde war es dieses schauerliche Arrangement, das den Maresciallo den Kopf wegdrehen ließ. Sie schien das nicht zu kränken. Er war offensichtlich Enkeledas wegen gekommen, doch da das Mädchen durchaus nicht ansprechbar war, glaubte sie sich anscheinend für die Unterhaltung zuständig und plapperte ungeniert weiter.
    »Ich hoffe, es stört Sie nicht, aber ich war gerade dabei, mir die Augenbrauen zu zupfen, als Sie hereinkamen, und ich kann doch nicht bei der Hälfte aufhören, oder?«
    Wie brachte sie das bloß fertig? Dem Maresciallo zog sich der Magen zusammen bei der Vorstellung, eine so schmerzhafte Prozedur in nächster Nähe zu dieser grausigen Kopfwunde vorzunehmen.
    »Mein Therapeut sagt, es ist ein gutes Zeichen, wenn weibliche Patienten wieder anfangen, sich um ihr Erscheinungsbild zu kümmern. Erst heute morgen hat er das gesagt, als er dazukam, wie ich mir die Nägel lackierte. Na ja, das mag sein, wie es will, aber ich muß ganz einfach auf mein Äußeres achten, weil ich schließlich ein eigenes Geschäft habe, einen Frisiersalon – ausgerechnet! Ich bitte Sie, ein größeres Pech kann man sich doch gar nicht denken, wie? Oh, ich weiß, es wächst alles nach, aber was mich interessiert, ist: Wie lange wird das dauern? Ich meine, ich kann mich doch wohl kaum ohne Haare im Salon blicken lassen, oder?«
    »Nein…«
    »Meinen Sie, ich sollte mir eine Perücke zulegen?«
    »Ich weiß nicht…«
    »Die kosten ein Vermögen, wenn man was halbwegs Anständiges haben will, wissen Sie.«
    »Wahrscheinlich, ja.«
    »Andererseits könnte ich dann früher wieder anfangen zu arbeiten, also lohnt sich’s vielleicht doch. Was würden Sie an meiner Stelle tun?«
    Er konnte ihr nicht sagen, was er dachte: Daß er vor Angst schreien würde, wenn er ein Loch im Kopf hätte, aus dem ein Schlauch voll gelber Flüssigkeit herausragte – und was war das überhaupt für ein gelbes Zeug?
    »Natürlich heißt es immer, je öfter man die Haare schneidet, desto schneller wachsen sie, und ich glaube, meine

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