Nachtblüten
Sieht eher so aus, als hätten sie da gesessen und beratschlagt, was sie machen sollen.«
»Ja.« Der Raum war sauber, aber spartanisch eingerichtet. Auf dem großen Tisch mit der Marmorplatte standen eine Korbflasche und zwei Küchengläser mit einem Rest Rotwein darin. Zwei Stühle waren achtlos zurückgeschoben. Normalerweise hatten diese alten Häuser nur einen Eingang, aber der Maresciallo fand bald einen Abstellraum, in dem Düngerund Futtersäcke gestapelt waren und von dem eine schmale Stiege ins Freie führte. Unten, auf der rückwärtigen Seite des Hauses, waren ein paar windschiefe Schuppen und Verschlage angebaut. Sie stiegen hinunter, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Einer der Schuppen war leer und diente vermutlich als Unterstand für den Lieferwagen, der eben fortgefahren war. In einem anderen standen ein verbeulter Traktor, ein Moped und allerlei landwirtschaftliches Gerät. In einem düsteren, übelriechenden Verschlag war ein Haufen Kaninchen in engen Käfigen zusammengepfercht.
»Suchen wir was Bestimmtes?« fragte Lorenzini.
»Nein… doch. Nicht den Safe, aber das, womit sie ihn geöffnet haben. Ich kenne diese beiden Gauner nicht. Vielleicht sollten Sie…« Der Maresciallo kramte sein Notizbuch hervor und reichte es Lorenzini.
Daran gewöhnt, die Gedankengänge seines Chefs auch ohne Hilfe des gesprochenen Wortes zu interpretieren, nahm Lorenzini das Buch und wandte sich zum Gehen.
»Bin gleich wieder da.«
Der Maresciallo suchte weiter, ohne irgend etwas anzufassen. Lorenzini würde über Funk die eventuellen Vorstrafen der beiden abfragen. Als er zurückkam, hatte der Maresciallo in einem dreibeinigen Küchenschrank ohne Türen einen Schweißbrenner gefunden und eine Schutzmaske. Dabei hatte er dann doch etwas angefaßt, und zwar ein altes geblümtes Bettlaken, das darüber gebreitet war und das er zurückschlagen mußte. Lorenzinis Nachforschungen bestätigten seinen Verdacht.
»Autoschiebereien in großem Stil, drei Verurteilungen. Wahrscheinlich haben sie hier die Nummernschilder ausgetauscht. Was jetzt? Einen Durchsuchungsbeschluß, damit wir die Bude auseinandernehmen können?«
»Nein, nein… Sie saßen in der Küche und haben Wein getrunken. Wir sollten lieber gehen. Unsere Leute warten noch oben am Weg?«
»Ja.«
Die alte Frau erschien mit Futter für ihre Karnickel. Der Maresciallo fragte sie: »Ist einer der beiden Ihr Sohn, Signora?«
Sie schnitt eine Grimasse. »Piero. Ein Kerl ohne Rückgrat, genau wie sein Vater, aber ich habe nur noch ihn.
Giusti, der Gauner, hat ihn wieder in was reingeritten, stimmt’s?«
»Ich fürchte, ja.«
»Und wie soll ich hier zurechtkommen, wenn Sie ihn einsperren? Können Sie mir das mal sagen? Ich weiß, wie’s im Gefängnis zugeht. Sie sitzen da rum und spielen Karten, rauchen, nehmen Drogen, und baldowern für hinterher, wenn sie wieder draußen sind, die nächste Gaunerei aus, derweil ich mich hier alleine abschuften muß.«
»Nein, Signora, das können Sie unmöglich schaffen. Sie brauchen Hilfe.«
»Und ob ich die brauche! Aber ich hab ja schließlich einen Sohn, nicht wahr? Er sollte mir zur Seite stehen! Er! «
Vorwurfsvoll blickte sie zu ihnen auf. Ihr runzliges Gesicht war tränenüberströmt, auf dem krummen Rücken lastete ein riesiges Heubündel. Die beiden wußten keine Antwort, und sie erwartete auch keine. Ihre Wehklagen waren eine ebenso instinktive Reaktion wie der vergebliche Angriff des Kettenhundes. Man begehrte auf, ohne sich eine Wirkung davon zu versprechen. Alle Hoffnung war längst dem tristen Trott der Gewohnheit gewichen.
Der Maresciallo und Lorenzini wandten sich zum Gehen. Der Donner rollte unaufhaltsam näher.
Man hatte sich darauf verständigt, daß Lorenzini und der junge Carabiniere Giusti und Falaschi festnehmen sollten. Falaschi, der mit dem fettigen blonden Pferdeschwanz, war der Sohn der Alten. Falls er sich um seine Mutter sorgte und darum, wie sie in seiner Abwesenheit allein auf dem Hof zurechtkommen sollte, so erwähnte er es nicht. Aber sein Anwalt würde das harte Los der Alten später zweifellos weidlich ausschlachten. Giusti, der bullige Typ mit dem dunklen, kahlrasierten Schädel, hatte eine Frau und zwei kleine Kinder daheim. Lorenzini würde ihnen die traurige Nachricht überbringen.
Der Maresciallo stand am Rand eines Waldwegs, der steil nach rechts hin abfiel. Neben ihm war ein Schild an einen Baum genagelt, mit der Aufschrift: ›Schutt abladen verboten‹. Irgendwo
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