Nachtblüten
dort unten, außerhalb seines Blickfeldes, suchten sein Fahrer und die beiden Kollegen aus dem Streifenwagen das Gelände ab. Er war froh und dankbar für den Schatten, den dieses hübsche Waldstück bot, aber die Luft war immer noch schwer und stickig. In kurzen Abständen zuckten Blitze über den Himmel, gefolgt vom Donner, der jetzt so nahe war, daß es ordentlich krachte und dröhnte.
»Maresciallo!« Sie winkten ihm zu, kamen wieder den Hang herauf.
»Der Safe liegt tatsächlich dort unten. Kein sehr großer und völlig demoliert. Die müssen beim Aufbrechen wahllos benutzt haben, was gerade zur Hand war – Schweißbrenner, Axt, Knüppel. Ist noch allerhand drin, aber wir müssen zusehen, daß wir so schnell wie möglich die Spurensicherung herkriegen, es fängt gleich an zu schütten.«
»Ich glaube kaum, daß Fingerabdrücke dran sind«, sagte der Maresciallo. »Was habt ihr sonst…«
»Blut. Eine Menge Blut auf einem Männeroverall und auch am Safe. Da unten liegt alles mögliche Gerumpel, also haben wir mit ein paar Möbelresten und Matratzen einen Behelfsunterstand zusammengebastelt. Aber jetzt müssen wir uns beeilen!«
Sie beeilten sich. Der Maresciallo forderte ein Team von der Spurensicherung an. Zu spät. Mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag brach die Sommersintflut über sie herein.
»Ich kann den Mann nicht festnehmen.« Der Staatsanwalt sah erst den Maresciallo an und dann den Capitano, in dessen Büro sie zusammengekommen waren. Maestrangelo und der Staatsanwalt saßen auf einem langen Ledersofa. Der Maresciallo trat, die Mütze in der Hand, von einem Fuß auf den anderen und blickte starr auf ein Ölgemälde im vergoldeten Rahmen, das über dem Sofa hing.
»Wenn Sie mich ein paar Minuten mit den beiden allein lassen…«
»Sie glauben im Ernst, die würden auspacken?« fragte Maestrangelo skeptisch. »Die Kerle brauchen nicht viel Phantasie, um vorauszusehen, daß Rinaldi ihnen einen anständigen Anwalt zahlen wird, der seinen Namen raushält. Sie könnten sich übrigens setzen, Guarnaccia.«
»Danke, aber ich stehe lieber. Nicht jeder hat Phantasie, oder? Ich für meinen Teil habe, glaube ich, auch keine. Sie sind die ganze Zeit getrennt gewesen, das ist es, was zählt. Und Rinaldi ist so arrogant und selbstsicher, daß er mit so was nicht gerechnet hat.«
Was war das für ein Blick, den die beiden da wechselten? Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber er sah es doch. Glaubten sie ihm etwa nicht?
»Das dumme ist nur«, versetzte der Staatsanwalt – lächelte er? –, »daß ich eigentlich auch nicht damit gerechnet hatte. Ich weiß nicht… und Sie stehen im Ruf – na ja, ein bißchen langsam zu sein, daher ist es um so…«
»Ja. Tut mir leid.« Er tat sein Bestes, aber es war immer das gleiche, er kam immer zu spät. »Dieser Wolkenbruch … Aber ich konnte die Spurensicherung nicht alarmieren, bevor ich nicht wußte, wo das Zeug war.«
›Das Zeug‹ lag, in Plastikbeuteln verpackt, auf dem Schreibtisch des Capitanos am anderem Ende des Zimmers: der siebenarmige Leuchter, der Talmud, der Gebetsschal und das Scheitelkäppchen, das der Staatsanwalt eine Kippa nannte, die vergilbten Fotos.
Der Capitano erhob sich, ging hinüber, schaute sich alles noch einmal an und schüttelte den Kopf. »Das wird uns nicht weiterhelfen, denn wir suchen ja nicht das, was sie weggeworfen, sondern das, was sie gestohlen haben. Wofür die arme Frau sterben mußte, ob es nun ein gewaltsamer Tod war oder nicht.«
Hinter ihm hüstelte der Maresciallo. »Ich glaube nicht…«
»Was?« fragten die beiden anderen wie aus einem Mund. Das machte ihn verlegen, und statt sie anzuschauen, richtete er seinen Blick auf ein anderes Ölgemälde, eine Schäferin im seidenen Gewand und mit spitzen Schuhen – warum die nur so aufgeputzt war? »Ich glaube nicht, daß sie gefunden haben, was sie suchten.«
Selbst mit abgewandten Augen spürte er wieder diesen Blick zwischen den beiden hin und her gehen. Sie sollten hier nicht mit fruchtlosen Spekulationen kostbare Zeit verschwenden. Nebenan wartete Rinaldi, den man zu einem ›informellen Gespräch‹ vorgeladen hatte – ein Trick, der ihn veranlassen sollte, aus eigenem Antrieb nach einem Anwalt zu verlangen. Bis jetzt hatte er sich mit großer Unverfrorenheit behauptet und so getan, als brauchte er keinen. Irgendwie mußte man ihn aus der Reserve locken. Wenn erst ein Anwalt eingeschaltet war, würde der sicher auch die beiden Träger vertreten,
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