Nachtblüten
mit der Räumungsaktion nachgegangen«, sagte er, »und habe mich mit den Archiven in der Via Laura in Verbindung gesetzt, wo jeder Eigentümerwechsel gespeichert wird, bis das Grundbuch auf den neuesten Stand gebracht ist. Rinaldis Geschichte scheint zu stimmen. Das Haus gehört einer internationalen Stiftung, der ROTH ART EDUCATION, kurz RAE, mit Sitz in Panama. Von dieser Stiftung haben die Rossis vor zwei Jahren ihre Wohnung gekauft. Vielleicht waren die umfangreichen Renovierungsarbeiten, die zu dem Streit zwischen Sara Hirsch und Rinaldi führten, der Grund für diesen Verkauf. Was meinen Sie? Aber solange wir keine Verträge über Saras Mietverhältnis oder ihr Nießbrauchsrecht, je nachdem, finden, helfen uns diese Informationen leider auch nicht weiter. Wahrscheinlich steckt hinter der ganzen Stiftungsidee einer der üblichen Tricks zur Ersparnis von Erbschaftssteuern. Ich hätte allerdings nicht gedacht, daß ein Anwesen dieser Größenordnung dafür stehen würde.«
»Nein. Und…«
»Und?«
»Wer hätte die Erbschaftssteuer umgehen wollen? Wer waren Jacob Roths Erben? Ich bin sicher, Sara Hirsch rechnete damit, daß sie etwas bekommen würde. Aber sie ging leer aus und landete zweimal in der Psychiatrie, erst nach dem Tod ihrer Mutter und vor zwei Jahren dann noch einmal. Wenn ich herausfinden kann, was mit Jacob Roth geschah und wann… und irgendwo muß er doch um Himmels willen auch begraben sein!«
»Wenn er wirklich tot ist. Im Grundbuch ist nur sein Geburtsdatum verzeichnet, 1913. Er könnte also noch am Leben sein. Ich werde das auch in England überprüfen lassen«, schloß der Staatsanwalt.
»Aber was ist mit Rinaldi?«
»Sie möchten ihn festnehmen, ich weiß, aber noch wissen wir nicht, was er im Schilde führt. Halten wir ihn an der langen Leine und warten wir ab, bis er sich selbst den Strick dreht. Ein falscher Anruf…«
»Dafür ist er zu gerissen. Er wird auf Tauchstation gehen.«
»Ich fürchte, da haben Sie recht. Wahrscheinlich sind Falaschi und Giusti in ihren getrennten Zellen tatsächlich unsere einzige Hoffnung. Morgen früh werde ich sie im Beisein eines Pflichtverteidigers vernehmen. Hoffen wir, daß sie bei der Geschichte bleiben, die sie Ihnen erzählt haben.«
»Und wenn sie rausfinden, daß sie bereits einen Anwalt haben? Dafür wird Rinaldi schnellstens sorgen, und zwar über sein Mobiltelefon, das wir nicht abhören können.«
»Dann kann ich auch nichts machen. Aber was ist mit Ihnen? Verraten Sie mir Ihren nächsten Schritt?«
»Ich kann jetzt nichts weiter tun als versuchen, die Hintergründe aufzudecken… Könnte ich jemanden in Ihr Büro schicken und mir das Fotoalbum aus dem Safe ausleihen – und noch ein paar Aufnahmen, die wir von der Wohnung gemacht haben?«
»Sie brauchen niemanden zu schicken. Ich sorge dafür, daß Ihnen die Sachen umgehend zugehen. Übrigens, ich bin noch gar nicht dazu gekommen, es Ihnen zu sagen, aber ich habe mit den Eltern Rossi telefoniert, und sie waren voll des Lobes über Sie. Tut mir leid, wenn ich Sie unnötig in Sorge versetzt habe.«
»Sie hatten ganz recht, mich zu warnen. Bei Ihren Erfahrungen.«
»Sie haben Ihre eigenen Erfahrungen, Maresciallo, da brauchen Sie meine nicht.« Er drückte Guarnaccias Arm.
»Folgen Sie nur Ihrem Instinkt. Einen besseren Ratgeber können Sie sich nicht wünschen. Apropos, hatten Sie tatsächlich den Namen dieses Anwalts, Umberto D’Ancona?«
»Nein, nein…«
»Ha!«
Der Maresciallo sah ihn einsteigen und davonfahren. Dann blieb er noch einen Moment stehen, blickte starr zum Ausgang und tastete nach seinen Autoschlüsseln und der Sonnenbrille. »Ich werde sie finden«, murmelte er, »alle beide. Saras Bruder, wenn er existiert, und Jacob Roth. Aber erst die verflixte Brille!« Es war relativ schattig hier im Kreuzgang, wo ein Brunnen plätscherte und man über Steinfliesen durch dämmrige Gewölbe wandelte. Aber draußen, jenseits des mächtigen Torbogens, flimmerte die regenklare Luft der Via Borgognissanti unter einer unbarmherzig grellen Sonne.
»Stören Sie mich nur, wenn es unbedingt sein muß.« Als ob es bei Lorenzini einer solchen Anweisung bedurft hätte! Er gehörte zu denen, die wir für selbstverständlich nehmen, bis sie einmal krank werden oder in Urlaub gehen und plötzlich tausenderlei Irritationen den reibungslosen Ablauf des Alltags behindern. Lorenzini schloß leise die Tür hinter sich, als er das Büro verließ, und der Maresciallo setzte sich an seinem
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