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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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sein, der ihm wirklich nahekam, bis auf Ruth natürlich. Aber die hat ihn ja auch geliebt.«
    Zögernd kehrte der Maresciallo zu seinem Ledersessel zurück. Sollte er sich wieder hinsetzen, oder wäre es nicht klüger, den Staatsanwalt mit diesem Mann reden zu lassen? Er wirkte sehr gesprächig, gewiß, aber wo waren die Fakten? die Fakten über Saras Tod. Er war schon entschlossen, D’Ancona dem Staatsanwalt zu überlassen, als er sich fragen hörte: »Dieses leere Gesicht… auch in Saras Familienbild ist ein Gesicht immer noch leer. Ich bin Ihnen natürlich sehr dankbar für Ihre Hilfe, Signore, aber ich wüßte doch gern, wo der Bruder ist. Sie sprach nämlich von einem Bruder. Und wo ist Saras zweites Gemälde?«

10
    D ie Käfige mit den vertikalen Eisenstreben, die eine ganze Wand des Gerichtssaals einnahmen, waren allesamt leer. Ihnen gegenüber, am Presseeingang, stand der Maresciallo und hielt Ausschau nach dem Staatsanwalt. Endlich entdeckte er ihn rechts unten, in der ersten Reihe vor dem Richtertisch. Ganz ruhig, fast reglos saß er da, wodurch es leichter wurde, ihn ausfindig zu machen, da die Anwälte um ihn herum alle aufgesprungen waren und sich fürchterlich über irgend etwas ereiferten. Die Verhandlung wurde fortgesetzt. Der Maresciallo fragte den Beamten an dem Pult hinter ihm: »Ich dachte, heute fände dieser Mafiaprozeß um das Parkhaus statt?«
    »Nebenan.«
    »Ah.« Darum also all die leeren Käfige.
    »Hier geht’s um den Witzbold, der, als er einen Tag Freigang hatte, eine Prostituierte umbrachte, ihr Bett in Brand steckte und dann seelenruhig in seine Zelle zurückmarschierte. Nach diesem Zeugen wird der Richter vertagen. Eigentlich wäre noch ein psychiatrisches Gutachten fällig, aber der Sachverständige ist nicht erschienen.«
    »Danke.« Der Maresciallo betrat den Saal, sowie das Gericht sich erhoben hatte, aber noch ehe er den Staatsanwalt erreichte, drängte sich ein Mann in Zivil zu ihm vor und verwickelte ihn mit gedämpfter Stimme in irgendeinen Disput. Der Maresciallo trat zurück und wartete, bis das Gespräch beendet war. Der Staatsanwalt sah ihn gleich, als er sich zum Gehen wandte.
    »Ist etwas passiert? Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Ich habe Ihr Büro angerufen.«
    »Der Prozeß ist auf Montag vertagt. Kommen Sie, wir trinken irgendwo einen Kaffee.« Sein Platz an dem langen Tisch war eine Miniaturausgabe seines chaotischen Büros. Er schaufelte die Papierstapel in seine abgewetzte Aktenmappe und lockerte seine Halsbinde.
    Als sie die Bar auf der anderen Seite der belebten Piazza erreichten, hatte der Maresciallo ihm das meiste schon erzählt.
    »Und hat er Sie aufgeklärt?«
    »Über den Bruder? Es gibt ihn, soviel steht fest.«
    »Also hat er das Bild.«
    »Möglich wär’s.«
    »Zwei Kaffee! Und angenommen, Sara hätte es zurückverlangt, dann könnte er hinter dem Anschlag auf sie stecken. Was hat D’Ancona dazu gesagt?«
    »Eigentlich nichts. Aber er hat mir das hier gegeben. Er meinte, jetzt, wo Sara tot ist, sei es zu sonst nichts mehr nütze.« Damit griff der Maresciallo in die Tasche seines Uniformrocks und brachte eine Videokassette in schwarzer Papphülle zum Vorschein. »Er meinte, wir sollten Jacob Roth persönlich kennenlernen.«
    »Guarnaccia! Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß der auch noch lebt?«
    »Nein, nein… Er ist tot. Das hier hat er seiner Tochter Sara hinterlassen.«
    »Na, dann los! In dem Büro neben meinem steht ein Videorecorder – nein, Sie sind eingeladen.«
    Sie stürzten den sämigen Espresso in einem Zug herunter und zwängten sich durch eine hereindrängende Touristengruppe zum Ausgang.
    »Haben Sie einen Wagen dabei?«
    »Dort drüben.«
    »Falls Sie vor mir da sind: Das Büro links von meinem.«
    »Meine liebe Tochter, wenn du dies siehst, werde ich nicht mehr unter den Lebenden sein. Ich übergebe das Band Umberto, der es als eine Art Versicherungspolice gegen eventuelle Schwierigkeiten für dich aufbewahren wird. Ich rechne zwar mit keinen Unannehmlichkeiten, aber das meiste, was in meinem Leben geschah, ließ sich nicht vorausberechnen.«
    Jacobs Gesicht war hager geworden und sein Haar weiß, aber der durchdringende Blick seiner dunklen Augen war noch der gleiche wie auf dem Foto des Dreiundzwanzigjährigen. Er saß in eben dem Sessel, auf dem vor nur zwei Stunden der Maresciallo Platz genommen hatte.
    »Du weißt, daß dein Name in meinem Testament nicht erwähnt ist. Dafür schulde ich dir eine Erklärung, und

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