Nachtblüten
verkauft wurden, die marmorierte Maserung war unverkennbar.
»Sie hat dieses Bild also nicht immer versteckt gehalten.«
»Nein, durchaus nicht. Es stand die ganze Zeit bei Ruth im Wohnzimmer. Es war das einzige, auf dem sie gemeinsam zu sehen waren. Sara versteckte es erst, als diese Drohkampagne begann. Die Fotos in dem Umschlag waren allerdings aus naheliegenden Gründen immer im Safe.«
Es war ein steifer, kartonierter Umschlag mit großen, sorgfältig in Seidenpapier eingeschlagenen Schwarzweißfotos.
»Die Blumenbilder.«
Jetzt war es an D’Ancona, überrascht zu sein. »Sie hat jemandem diese Bilder gezeigt? Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher, ja. Demselben kleinen Mädchen. Jeder hat das Bedürfnis, sich irgendwem anzuvertrauen, und bei einem Fremden oder zumindest jemandem, der mit dem eigenen Leben nicht unmittelbar zu tun hat, fühlt man sich oft am sichersten. Sagen Sie mir, was es mit den Blumenbildern auf sich hat?«
»Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben. Wie Sie schon sagten, irgendwem vertrauen wir uns alle an. Aber Sie müssen mir versprechen, daß es unter uns bleibt.«
Der Maresciallo starrte ihn an. »Sie wissen, daß ich Ihnen das nicht garantieren kann.«
»Aber die Männer, die Sie festgenommen haben, wissen nichts davon.«
»Genausowenig wie von allem anderen. Sie haben einfach getan, was ihnen aufgetragen wurde. Von Rinaldi.«
»Ach ja, Rinaldi.«
»Sie kennen ihn?«
»Ich kannte ihn, als er noch als Ladenjunge für Samuel und Naomi Roth arbeitete. Er hat großes Glück gehabt. Die Roths nahmen sich seiner an, als er im Krieg den Vater verlor. Er lebte mit seiner Mutter in einer Wohnung im ersten Stock ihres Hauses, und ich nehme an, er wohnt heute noch dort. Als Jacob sich zur Ruhe setzte, ließ er ihn das Geschäft weiterführen, sagte, er habe Geschmack…«
»Es war Rinaldi, der mir gesagt hat, daß Sie tot wären. Weiß er, wie Jacob sein Geld gemacht hat?«
»Er weiß einiges aus Jacobs Leben, aber das nicht. Er war ja noch ein Kind damals, in den Dreißigern. Rinaldi ist ein Problem, und er ist sicher nicht unschuldig an Saras traurigem Ende, aber wenn Sie Geduld mit mir haben und mir zuhören, dann werden wir gewiß eine Lösung finden. Doch wollen wir nicht zuvor über die Gemälde sprechen? Ruth hat sie damals, wie gesagt, aus Prag mitgebracht. Diese beiden Bilder waren ihre Zukunft. Ihr Vater vertraute sie den Roths an, die Roths wiederum gaben sie, bevor sie deportiert wurden, in meine Obhut. Einige Jahre lagen sie zusammen mit anderen Bildern, die Jacob gekauft hatte, und ein paar Wertsachen aus seinem Laden in einem Safe, der hier im Garten vergraben war. Als Jacob zurückkam, nahm er alles wieder an sich. Eins von Ruths Gemälden hat er dann für sie verkauft. Später ging aus dem Erlös eine Schenkung an das Kloster, das Ruth und die kleine Sara beherbergt hatte. Der Rest des Geldes wurde für die beiden angelegt.«
»Warum hat er sie nicht geheiratet?«
»Urteilen Sie nicht zu schnell. Bedenken Sie, daß er von dem Kind nichts gewußt hatte, bis er nach Hause kam. Er dachte, Ruth sei mit seinen Eltern deportiert worden. Er wußte nicht, ob sie noch lebten oder tot waren. Er kam zu mir, wie sein Vater es ihm in seinem letzten Brief aufgetragen hatte. Aber nicht einmal ich wußte etwas von Ruths Kind. Als wir Sara zum ersten Mal sahen, war sie fast ein Jahr alt. Jacob hatte sich inzwischen in England verlobt. Was mit Ruth gewesen war… die beiden waren so jung, der Zufall führte sie zusammen, durch den Krieg wurden sie wieder getrennt. So etwas kam vor, damals.«
Der Maresciallo konnte das nicht akzeptieren. »Nein, nein… Gut, ich gebe zu, daß solche Dinge im Krieg passierten, aber in dem Fall stand auf der einen Seite ein Kind und auf der anderen ein Vermögen, ein unrechtmäßig erworbenes Vermögen obendrein, ob Jacobs Methoden nun illegal waren oder nicht.«
»Sie betrachten das sehr pragmatisch, aber einen wichtigen Punkt haben Sie dabei übersehen: Ruth liebte Jacob. Bis zum letzten Tag hat sie ihn geliebt. Er war ein sehr gutaussehender junger Mann, talentiert, ein Zerrissener, eine komplexe Persönlichkeit. In ihrem zarten Alter faszinierte er sie, seelisch wie körperlich, und sie traf nie wieder jemanden, der ihn hätte ersetzen können. Ich würde meinen, das kommt öfter vor, als wir glauben, und es trifft Männer ebenso wie Frauen. Die meisten Menschen versuchen mit praktischer Vernunft dagegen anzugehen und sich mit einem weniger
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